Ex-Profi-Fußballer wohnt in Kleve 25 Jahre nach der Haft: Das Leben des Barons
Kleve · Ex-Fußball-Profi Ralf von Diericke lebt seit mehr als 20 Jahren in Kleve. Er führte zuletzt ein geordnetes Leben als Versicherungskaufmann und Amateurtrainer, bis ihn seine Vergangenheit einholte. Er verbrachte mal knapp vier Jahre im Gefängnis.

"Der Baron": Ex-Profi Ralf von Diericke lebt heute in Kleve
Eine grundsolide Doppelhaushälfte mit rotem Klinker, ein weißer Briefkasten, der aussieht wie ein Tombolagewinn: das Haus ist wie gemalt für einen Spießer - aber hier wohnt "der Baron". Ralf von Diericke wird in der Fußballszene aufgrund seines adligen Zusatzes "von" nur "der Baron" gerufen.
Der 51-Jährige sitzt im Garten. Auf dem Tisch ein halber Liter Obergäriges, ein Glas braucht er nicht. Weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, braun gebrannt, "ich bin fit", sagt von Diericke und klopft zum Beweis ein paar Mal dorthin, wo bei nicht wenigen Gleichaltrigen ein Balkon überm Hosengürtel sitzt.
"Mein Körper ist mein größtes Kapital", sagte von Diericke einst. Der Mann war Fußball-Profi. Unter anderem spielte er bei Fortuna Düsseldorf, dem Wuppertaler SV, Union Solingen und dem VfL Osnabrück. Seit 20 Jahren wohnt von Diericke in Kleve. Hier lebt er jetzt mit seiner Frau und zwei Stieftöchtern zusammen.
Man kennt Ralf von Diericke in der Fußballszene, aber nicht nur dort. Als Aktiver galt er Anfang der 80er-Jahre als Rohdiamant. Viele Tore, lange Haare, schnelle Autos — seine Zeit als Amateurtrainer war ebenso erfolgreich wie auch die als solide arbeitender Versicherungskaufmann in Kleve.
"Die Urkunden für meine guten Ergebnisse liegen da alle noch", sagt von Diericke und zeigt auf die Schrankwand im Wohnzimmer. Doch erfährt sein Lebenslauf gerade einen empfindlichen Knick. Nachdem er 13 Jahre als Versicherungsvertreter ein rechtschaffenes Leben führte, wird er aktuell von seiner Vergangenheit überrollt. Denn in der lief nicht alles nach Plan.
Ralf von Diericke hat in seiner Zeit als Spieler beim Wuppertaler SV knapp vier Jahre im Gefängnis verbracht. Der Baron war 1985 an zwei Überfällen beteiligt. Grund dafür war: "Beim Wechsel von Düsseldorf zurück nach Wuppertal war mir Geld versprochen worden, was nie kam. Irgendwann hatte ich nichts mehr zum Leben."
Damals wurde in der dritten Liga gern ohne Vertrag gearbeitet. Man musste sich auf die Absprachen verlassen und so wechselten regelmäßig gut gepolsterte Briefumschläge die Seiten. Irgendwann grüßten auch die Jungs von der Kasse nicht mehr und wiesen von Diericke darauf hin, dass das Zeichen hinter dem Betrag auf dem Kontoauszug kein Dollarzeichen sei. Der Baron stand knietief im Dispo.
Ralf von Diericke war mit der Pistole vorm Flipper gestolpert.
Es reifte die Idee, kurzfristig Abhilfe zu schaffen: Altweiber hatte er mit einer Kanone und zwei Kumpels eine Spielhalle gestürmt: Mit 2000 Mark mehr kam man wieder raus. Wie vorgesehen verlief die Aktion "Blitzgeld" nicht. Eine Tageszeitung beschrieb den Raub mit "Drehbuchpassagen aus einer Hallervorden-Klamotte". Ralf von Diericke war mit der Pistole vorm Flipper gestolpert.
Vier Tage später stieg der Baron in die Geschäftsstelle des Wuppertaler SV ein. 11.000 Mark waren dort die Beute. "Ich war bis dahin völlig sauber und dachte, dass ich höchstens eine Bewährungsstrafe zu erwarten hätte. Falls sie mich kriegen."
Sie kriegten ihn. Es war 1985 als von Diericke mit der Bundeswehr-Nationalmannschaft gerade ein Freundschaftsspiel bei Osnabrück mit 10:0 gewonnen hatte. Der Baron hatte drei Treffer gemacht. "Wir saßen in U-Form beim anschließenden Bankett. Links neben mir saß Olaf Thon, rechts Jürgen "Kobra" Wegmann, als die Tür aufging.
"Wieso? Wir haben doch gerade 10:0 gewonnen."
Ich kannte die Jungs, die verfolgten mich schon länger. Einer zeigte mit dem Finger auf mich und deutete an 'herkommen'." Der Kripo-Beamte empfing von Diericke mit den Worten: "Man muss wissen, wann man verloren hat." Von Diericke antwortete zwar leichenblass, aber nicht ohne Galgenhumor: "Wieso? Wir haben doch gerade 10:0 gewonnen."
Zu sechs Jahren Haft wurde der Baron verurteilt. Nach knapp vier war er wieder frei. Zum Ende seiner Zeit als Strafgefangener durfte er bereits für Remscheid in der Oberliga wieder Fußball spielen. Der Traum von der ganz großen Profi-Karriere war dahin.
1993 wechselte Ralf von Diericke zum VfB 03 Kleve. "Astrein, jetzt gibt's hier demnächst ganz billig ganz schnelle Autos", hieß es beim VfB, als die Nachricht durchsickerte "Der Baron kommt". VfB-Manager Hans Noy hatte den Deal eingefädelt. "Natürlich wusste ich von den Problemen in Wuppertal, aber das war doch Jahre her", sagte Noy, der von Diericke in seinem Betrieb auch anstellte.
Mit Jos Luhukay beim SV Straelen
Später spielte der 51-Jährige noch beim SV Straelen unter Mäzen und Trainer Hermann Tecklenburg zusammen mit dem aktuellen Hertha-Trainer Jos Luhukay. Über den GSV Geldern kehrte er schließlich zum mittlerweile fusionierten 1. FC Kleve zurück. Zuletzt trainierte er erfolgreich die Frauen-Landesligamannschaft des VfR Warbeyen.
Sein Versicherungsbüro im Herzen der Kreisstadt stand für ihn in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt, bis sein Vertriebspartner die Bestände zusammenlegen wollte. Für von Diericke wäre das ein enormer Nachteil geworden.
Zwei Vorstellungsgespräche hatte er, mit einer Versicherung war er sich handelseinig, bis diese im Internet von der Vergangenheit des Barons erfuhr und Abstand von der Verpflichtung nahm. "Das ist jetzt fast drei Jahrzehnte her und ich habe 13 Jahre gute und saubere Arbeit abgeliefert", kann von Diericke nicht verstehen, warum er für die Sünden von einst noch heute bezahlen soll.
Der Ex-Profi will wieder einen Job und auch ein Amateurteam trainieren. Er braucht nur die Möglichkeit. Und dass er diese nutzt, hat er in seinem bisherigen Leben schon häufig gezeigt. Denn wenn der Baron etwas kann, dann ist es Chancen verwerten.