Film in Kevelaer Das schöne Leben?

KEVELAER · Ein Film von Thomas Binn macht Armut im Kreis Kleve greifbar. Die Doku hatte beim Fachtag des SOS Kinderdorfs in Kevelaer Premiere.

 Nach der Premiere diskutiert Thomas Binn (r.) mit der CDU-Landtagsabgeordneten Margret Voßeler-Deppe und Kleves SOS-Kinderdorfleiter Peter Schönrock über den Film.

Nach der Premiere diskutiert Thomas Binn (r.) mit der CDU-Landtagsabgeordneten Margret Voßeler-Deppe und Kleves SOS-Kinderdorfleiter Peter Schönrock über den Film.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Es sind Sätze wie diese, die hängenbleiben, wenn der Abspann längst über die Leinwand geflimmert ist. „Wir versuchen irgendwie das beste daraus zu machen, ein schönes Leben zu machen. Aber dann merke ich: Das schöne Leben sieht gar nicht so schön aus.“ Julia sagt diesen Satz, die mit ihrer 14 Monate alten Tochter Emely in Kleve lebt. „Ich habe ein warmes, trockenes Zuhause, dafür bin ich dankbar, aber wenn ich meinem Kind etwas bieten will, sehe ich mich schon als arm“, ergänzt die junge Mutter.

Die Alleinerziehende mit ihrer Tochter gehört zu den drei Familien, die Thomas Binn für seinen Film über Armut besucht hat. Es geht nicht um Armut weit weg, es geht um Armut vor der Haustür. Armut, die man auf den ersten Blick nicht sieht, wie der Filmemacher aus Kevelaer erläutert. „Armut ist auch bei uns allgegenwärtig, das Problem ist, dass du sie gar nicht wahrnimmst und daher auch nicht als Problem erkennst“, sagt er.

Thomas Binn zeigt an drei konkreten Beispielen aus der Region, dass es auch in Wetten, Kalkar und Kleve Familien gibt, die kämpfen müssen, um im reichen Deutschland finanziell über die Runden zu kommen.

Der Film ist ruhig, berührend, lässt vor allem die Familien selbst zu Wort kommen. Immer wieder bleiben Sätze hängen. „Es ist ein besseres Gefühl, etwas für das Geld getan zu haben, ein viel besseres Gefühl“, sagt Ivonne etwa. Die 30-Jährige alleinerziehende Mutter aus Kalkar arbeitet 20 Stunden die Woche, obwohl sie dadurch kaum mehr bekommt als wenn sie nur zuhause auf dem Sofa sitzen würde. „Aber mir ist es wichtig, dass man weiß wo das Geld herkommt, dass man es nicht für das Nichtstun bekommen hat, sondern für ehrliche Arbeit“, sagt sie.

Vor allem die Kinder bringen die schwierige Situation schonungslos auf den Punkt. „Meine Mama war beim Arzt und hat dann einen Brief von der Arbeit bekommen und dann stand da, dass meine Mutter gefeuert wird“, erzählt Julian. „Mein Vater hat sich von meiner Mutter geschieden und meine Mutter ist ganz allein.“

Jetzt versucht die Mutter, die Familie in Wetten mit vier Kindern alleine durchzubringen. Und sie spürt: „Jetzt wo sie älter werden und das wahrnehmen, dass wir nicht so viel zur Verfügung haben, ist es nicht so schön. Jetzt kriegen sie mit, wenn sie irgendetwas haben wollen und ich sagen muss: jetzt nicht.“

Thomas Binn begleitet Julian mit der Kamera in die Schule nach Wetten. Hier setzen sich die Viertklässler mit dem Thema „Arm und Reich“ auseinander. Auch hier fällt ein Satz, der hängenbleibt: „Die Kinder können nichts dafür, ob sie arm oder reich sind, es kommt darauf an, wo sie geboren wurden“, sagt ein Junge.

Als der Satz im Konzert- und Bürgerhaus bei der Filmpremiere fällt, ist es totenstill. Wenig später brandet Applaus auf. Die Arbeit von Thomas Binn hat offensichtlich Eindruck hinterlassen. Den Film hat er für das SOS Kinderdorf produziert, das sein 50-jähriges Bestehen feiert. Die Fachtagung mit 130 Gästen zum Thema Armut bildete den passenden Rahmen, um die Dokumentation erstmals der Öffentlichkeit vorzustellen. Wie aktuell das Thema ist, bringt Binn selbst auf den Punkt: „Jedes fünfte deutsche Kind ist von Armut betroffen. Also sind statistisch in jeder Klasse vier bis fünf arme Kinder.“

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