Schulleben Mit Herz und Verstand gegen Rassismus

Kevelaer · Drei Tage probte die Klasse 7d der Gesamtschule Kevelaer-Weeze den Ernstfall. Wie geht man mit Menschen um, die ausgegrenzt werden? Und warum ist das so? Eine Suche nach Antworten, die unter die Haut geht.

 Schüler der Gesamtschule Kevelaer-Weeze verkörpern eine Szene aus dem Projekt gegen Rassismus.

Schüler der Gesamtschule Kevelaer-Weeze verkörpern eine Szene aus dem Projekt gegen Rassismus.

Foto: Heinz Spütz

Die Schüler bilden einen Kreis. In der Mitte steht ein Mädchen mit einem roten Plüschherz. Die Schüler außen halten sich an den Armen und Händen fest. Für den, der draußen steht, bedeutet das: kein Durchkommen. Das Mädchen ist drinnen, er ist draußen. „Wie fühlt sich das an?“, will Petra Lemke wissen. Die Theaterpädagogin ist gemeinsam mit ihrem Kollegen Mike Becker für drei Tage an der Gesamtschule Kevelaer-Weeze. Das Thema: „Theaterpädagogische Methoden für eine Schule ohne Rassismus“. Was sich zunächst sperrig anhört, erarbeiten sich die Schüler der Klasse 7d Schritt für Schritt. Möglich wurde das Projekt durch die Gelsenwasser-Stiftung.

Warum gerade die 7d? Hat diese Klasse ein Rassismus-Problem? Eher das Gegenteil ist der Fall, erklärt Kathrin Jansen, die gemeinsam mit Johannes Terhorst die Klassenleitung hat. An der Schule gibt es Kinder aus Flüchtlingsfamilien. Ein Junge aus Afrika war für vier Monate in der Klasse 7d. Als er dann doch in die sechste Klasse wechselte, waren die Mitschüler der 7d traurig, erklärt die Lehrerin. Von Rassismus keine Spur. Aber: „Man muss Stärken auch stärken“ und „Da ist noch mehr rauszuholen“ lautet die Überzeugung der Klassenlehrerin. Ihr geht es um eine Sensibilisierung für das Thema. „Ich finde, man kann gar nicht früh genug anfangen, dass Rassismus keinen Platz hat bei uns.“

Aber was ist Rassismus überhaupt? Damit beschäftigten sich die Schüler in den ersten beiden Tagen, des insgesamt dreitägigen Projekts. „Am ersten Tag haben wir die Kinder dort abgeholt, wo sie stehen, mit ihren Erfahrungen und ihren Musikrichtungen“, erklärt Herbert Johnen. Der Sozialpädagoge begleitete die Schüler mit seiner Kollegin Lisa Hegmann in den drei Tagen. Am ersten Tag wurde zum Beispiel über Rap gesprochen. „Den Rapper Kollegah fanden alle ganz cool. Musik ist ja schön, aber wir haben auch die Frage gestellt, was steckt dahinter“, sagt der Sozialpädagoge. Und da wurde schnell deutlich, dass Worte wie „Flüchtlingsschlampe“ nicht nur nicht politisch korrekt sind, sondern ganz schön daneben. Zur Erinnerung: In diesem Jahr gaben einige Musiker ihren Musikpreis „Echo“ aus Protest zurück, als man Kollegah und Farid Bang einen Echo verlieh. Es geht um das genaue Hinhören und Hinsehen.

„Es geht auch um die kleinen Situationen im Alltag“, erklärt Theaterpädagogin Petra Lemke. Die Hausaufgabe für die Schüler bestand darin, auf die Suche nach Situationen zu gehen, in denen Menschen ausgegrenzt werden. „Die Schüler sollen ein Gefühl dafür bekommen, dass solche Situationen nicht weit weg sind. Ausgrenzung beginnt schon dort, wo ich jemanden nicht dabei haben will und vielleicht gar nicht genau weiß, warum.“

In kleinen Gruppen werden solche Situationen nachgestellt. Drei Schüler stehen zusammen, ein vierter weit abseits. Alle anderen Schüler der Klasse 7d schauen zu. Ein „Gefühlsreporter“ wird zu den einzelnen Akteuren geschickt. Wie fühlen sich die Mitglieder der Gruppe, wie der einzelne? „Nicht so gut, weil die mich ausschließen“, lautet die Antwort des Jungen, der am Rand steht. Der Gefühlsreporter fragt nach seinen Wünschen. „Dass sie nicht mehr über mich lästern.“ Das geht unter die Haut. Theaterpädagogin Petra Lemke wendet sich an die Schüler, die Zuschauer. „Ich brauche eine Künstlerin. Verändere das Bild so, dass derjenige, der die meiste Unterstützung braucht, sie auch bekommt“, lautet ihre Aufgabe. Ein Mädchen steht auf, zieht den Jungen zu dem Dreier-Grüppchen und lässt alle die Hände wie zum Schwur aufeinanderlegen.

Die gleiche Szene noch einmal. Eine andere Lösung. Ein Junge aus den Zuschauerreihen stellt sich zu dem Jungen, der bisher alleine abseits steht. Nun ist er nicht mehr allein. „Da war nix an Vorgaben von uns“, sagt Petra Lemke sichtlich berührt von den Problemlösungen. „Auch wenn es nur nach einer kleinen Theaterszene aussieht, es ist mehr als das“, mahnt sie. „Es ist die Als-ob-Probe für die Realität.“

Am letzten Projekttag wurden drei, vier größere Szenen aus dem Alltag der Jugendlichen beim Forumtheater als Vorlage genommen. Das Besondere: Die Schüler konnten in die Szene eingreifen, in der es um Ausgrenzung ging, und sie positiv verändern. Sich zum Beispiel zu jemandem dazustellen. Wenn die das im Spiel schaffen, „dann kriegen die das im Alltag auch hin. Das ist meine Erfahrung“, sagt die Theaterpädagogin. Sie kann sich gut vorstellen, dass die Klasse 7d so zum Multiplikator wird und den Schulalltag positiv prägt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort