Mud Masters im Selbstversuch Warum sich Tausende in Weeze freiwillig in den Schlamm werfen

Weeze · Am Wochenende stieg am Airport Weeze der Hindernislauf Mud Masters. Doch wie anstrengend ist der Parcours – und wird man tatsächlich zu einer großen Teilnehmer-Familie? Unser Autor hat den Selbstversuch gewagt.

So waren die Mud Masters 2022
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So waren die Mud Masters 2022

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Foto: Evers, Gottfried (eve)

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Daran lässt Artikel eins des Grundgesetzes keinen Zweifel. Doch der Hindernislauf Mud Masters, der am Wochenende wieder tausende Sportler zum Flughafenareal in Weeze zog, stellt Gewissheiten infrage. Erwachsene, die sich in Schlamm wälzen. Sich in Eiswasser stürzen oder Autoreifen umwerfen. Menschen, die vor Dreck kaum gehen können. Und all das freiwillig. Es muss Wohlstandsbesoffenheit sein, die zur Anmeldung führt. 

Im Januar meldete sich ein Kumpel, ob wir nicht im September am Mud Masters teilnehmen wollen. Ich, bisweilen etwas naiv, sagte zu. Immerhin schien der Herbst noch so weit weg. Doch plötzlich steht man am Sonntagmorgen am Start. Und ich werde gleich mit der größten Herausforderung konfrontiert: drei aufdringlich euphorische Animateure, die die Gruppe einschwören wollen. Eine Familie müssten die Teilnehmer auf der Strecke formen, heißt es. Schließlich müsse man einander über die Hürden helfen, in Schubkarren-Position sprinten und vor allem: Mut zusprechen. Denn die zwölf Kilometer sind lang, und die 24 Hürden sind anspruchsvoll.

Nach dem Einpeitschen zu Schlager-Rhythmen geht es los. Zum Start kommt es bereits knüppeldick. Beim sogenannten Sizzler werden Stromschläge ausgeteilt. Der Versuch, der Elektrizität mit einem zügigen Kriechgang zu entfliehen, wird nicht honoriert. Vielleicht hätte mein Po aber auch einfach etwas niedriger bleiben müssen. Es folgen mehrere Hügel. Von Hygienevorstellungen verabschiedet man sich im Schlamm zügig. Binnen weniger Minuten sind alle Klamotten nass. Der Sand findet den Weg in die Schuhe, und es kommen Wahrheiten auf den Tisch, die unausgesprochen hätten bleiben dürfen. „Ich habe jetzt sogar Sand im Po“, sagt ein Teilnehmer im Vorbeigehen.

Bei den „Great Walls“ kommt es erstmals auf Teamarbeit an. Allein schaffen es nur Extremsportler die Wand hoch. Die breite Masse baut Räuberleitern. Zu Helden avancieren all jene, die sogar ihre Schultern für dreckige Schuhe fremder Menschen zur Verfügung stellen. Da wird Solidarität plötzlich greifbar. Berüchtigt ist der Mud Hill. Die Sandwege sind aufgeweicht, sodass die meisten Teilnehmer zuvorderst damit beschäftigt sind, ihre Schuhe zu behalten. Die Nebenleute packen Horror-Geschichten aus. „Meine Freundin hat hier vor ein paar Jahren ihre Schuhe verloren. Sie ist dann barfuß weiter. Wenn der Schuh einmal im Schlamm versinkt, ist er weg.“ Immerhin: Meine Schuhe bleiben im Rennen, wenngleich von ihnen nicht viel mehr zu sehen ist. Der Schlamm macht sie schwer, sehr schwer. So muss es sich anfühlen, mit einer Fußfessel zu rennen.

Die ersten fünf Kilometer sind recht schnell geschafft, danach wird es eklig. Und der Regen tut sein Übriges. Entlang der Start- und Landebahn des Airports wehen zudem kräftige Winde. Da kann es schnell zu Unterkühlungen kommen. Wenig verwunderlich also, dass die Rettungssanitäter vor Ort alle Hände voll zu tun haben. Ein Mann wird mit Krämpfen weggetragen, eine junge Frau hat sich das Bein gebrochen. Doch immerhin gibt es unterwegs nicht nur Schilder, die die verbleibende Kilometerzahl angeben, sondern auch solche, die abgedroschene Sprüche anbieten: „Dein Leben beginnt dort, wo deine Komfortzone aufhört.“ Und tatsächlich hat man die Komfortzone längst verlassen. Dabei könnte alles so schön sein: Immer wieder tauchen Ryanair-Flugzeuge am Himmel auf, die Passagiere von Weeze aus ins wohlig-warme Südeuropa fliegen. Unterdessen zittert man sich von Hindernis zu Hindernis, und das zu einem Preis von 70 Euro.

Eine knapp zehn Meter hohe Rutsche, Sandsack-Schleppen, Tarzan-Schwingen – es wird jeder Muskel beansprucht. Besonders unangenehm aber ist die sogenannte Execution: Man steht auf einer fünf Meter hohen Plattform über dem Wasser und wartet ab. Dann ertönt ein Knall, und der Boden unter den Füßen öffnet sich. Einen Augenblick später landet man im sandigen Wasser. Und dennoch gibt es auch Lichtblicke, die bemerkenswerte Mitmenschlichkeit offenbaren. Fremde, die einander minutenlang über Barrieren helfen. Sportler, die alle Kräfte investieren, um den Nebenmann aus dem Schlammloch zu ziehen. Freunde, die wie selbstverständlich die Schwächen des anderen ausgleichen. Die Moderatoren hatten Recht behalten: Hier wächst eine kleine Familie zusammen. Es geht nicht um Zeit, sondern ums Dabeisein.

Und dennoch steigt die Vorfreude auf den Zieleinlauf. Doch der findet nicht etwa unter tosendem Applaus statt, sondern mit zitternden Knien. Eine letzte Halfpipe-Wand muss bezwungen werden. Doch meine Kräfte scheinen aufgezehrt zu sein. Gerade noch so klammere ich mich in drei Metern Höhe an eine Holzleiste. Doch nun den gesamten Körper mit der eigenen Muskelkraft hochziehen? Im Leben nicht. Plötzlich spüre ich zwei Arme unter meinen Schultern. Ich werde hochgezogen, nach knapp dreieinhalb Stunden ins Ziel geschleppt. Dort überwiegt plötzlich der Stolz. Ich erwische mich, wie ich darüber sinniere, dass es ein wenig Spaß gemacht hat. Dann blicke ich meinen Körper herunter und sehe nichts als Schlamm.

Der nächste Gang führt für eine kalte Dusche zur Autowaschanlage der Mud Masters. So viel zum Thema Menschenwürde.

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