Landwirtschaft im Blick Wo der Weihnachtsbaum zu Hause ist

Weeze · Aus den Wäldern von Schloss Wissen kommen die Nordmanntannen, die später im heimischen Wohnzimmer für Glanz sorgen. Fichten sucht man fast vergebens. Schuld ist der Borkenkäfer.

 Bis der Weihnachtsbaum im heimischen Wohnzimmer landet, ist viel Arbeit nötig, weiß Raphaël Freiherr von Loë aus Weeze.

Bis der Weihnachtsbaum im heimischen Wohnzimmer landet, ist viel Arbeit nötig, weiß Raphaël Freiherr von Loë aus Weeze.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Eine steife Brise fegt über das Feld. Das Meer aus stacheligen Tannenspitzen bewegt sich kaum. Wer den Feldweg entlanggeht, blickt auf viele Nordmanntannen, die alle in Reih und Glied stehen und nur eine Bestimmung haben: irgendwann als Weihnachtsbaum in einem heimeligen Wohnzimmer zu glänzen.

Die Idee zum Anbau von Weihnachtsbäumen geht noch auf Vater Fritz zurück, erklärt Raphaël Freiherr von Loë, der mit gemäßigten Schritten durch die Schonung geht. Der Verkauf der Weihnachtsbäume dient der Unterhaltung des Forstbetriebes, der zu Schloss Wissen gehört. „Der Wissener Wald hat im Zweiten Weltkrieg sehr stark gelitten“, sagt der Weezer. „Im Frühjahr 1945 waren hier die letzten Kämpfe.“

Mehr als zwei Drittel des heutigen Waldes ist Nachkriegsbestand. Der Wald musste erst einmal 40, 50 Jahre wachsen, um den Verlust zu überbrücken. Als Einnahmequelle, um die Aufforstung und Pflege betreiben zu können, hatte Fritz von Loë die Idee, Weihnachtsbäume zu verkaufen. Das ging in den 60er Jahren los, ab den 80er Jahren kam das Selbstschlagen der Tannenbäume hinzu. Damals wurde auch noch Schmuckgrün angebaut, also Seidenkiefer, Nobilistanne oder Douglasie. Heute beschränke man sich auf die Nordmanntanne. Die hat als Weihnachtsbaum viele Anhänger. Sie piekst nicht, ist rieselarm und schön im Wuchs. Auf einem Hektar stehen 8000 Tannen.

 Raphaël Freiherr von Loë zeigt, wo früher die Fichten gestanden haben.

Raphaël Freiherr von Loë zeigt, wo früher die Fichten gestanden haben.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Bis aber aus einer kleinen Tanne ein Weihnachtsbaum wird, ist es ein langer Weg. Wie der aussieht, beschreibt Dirk Walbersdorf. Er ist auf Schloss Wissen für den Geschäftsbereich „Weihnachtsbaum“, von der Pflanzung bis zur Vermarktung, zuständig. Auch wenn der Tannenbaum aus dem Wald ein Naturprodukt ist, so ist nicht jeder Baum von Natur aus schön, weiß der Experte. Ab dem vierten, fünften Standjahr gibt es einen Formschnitt.

Der Baum soll nicht nur in die Höhe schießen, sondern auch schön buschig sein. Dafür sorgt die Terminaltriebbehandlung. Walbersdorf zieht eine Zange hervor. Die Zacken bohren sich in den Stamm. „Damit wird der Pflanzensaft umgeleitet“, erklärt er. Der Pflanzensaft fließe dann spiralförmig. Das Höhenwachstum wird eingedämmt. Acht bis zehn Jahre muss der Baum wachsen, bis er eine Größe von 1,75 Metern erreicht hat.

„Das Thema Arbeit mit den Bäumen wird unterschätzt“, sind sich Walbersdorf und von Loë einig. Viel Handarbeit ist nötig, um einen schönen Baum zu bekommen. Die nicht planbaren Wetterverhältnisse spielen dabei auch eine Rolle. Die letzten Nachtfröste im Frühjahr können einen ganzen Jahrestrieb kosten. Die kaputten Spitzen müssen dann alle per Hand rausgeschnitten werden. Von 8000 Bäumen schaffen es am Ende, wenn alles optimal läuft, 6500 in den Verkauf.

Die ersten Bäume werden schon Anfang November verkauft. Sie landen nicht in den Wohnzimmern, dafür aber als Schmuckbäume vor oder in Geschäften. Ein Baum aus dem Bestand von Schloss Wissen hat es schon einmal in das Bundeskanzleramt geschafft. Raphaël Freiherr von Loë erzählt von der E-Mail mit der Anfrage, der Fahrt nach Berlin und vor allem dem Aufstellen des Baumes in Berlin. Zum Glück seien Experten am Werk gewesen. Denn erst wollte der große Baum nicht durch die Tür passen. Mit der richtigen Technik ging es dann doch. Natürlich sei der Baum besonders schön gewesen, den er ausgesucht habe, sagt der Freiherr, so einen, den er sich auch selbst ins Wohnzimmer gestellt hätte, oder eher nicht. Denn er gibt gerne zu, dass sein Herz für die krummen Bäume schlägt, die keiner will. Leider habe seine Familie da ein Mitspracherecht, wenn es um das eigene Wohnzimmer gehe.

 Die Tannenbäume tragen das PEFC-Siegel.

Die Tannenbäume tragen das PEFC-Siegel.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Sein Vater wünscht sich unterdessen immer noch eine Fichte als Weihnachtsbaum. Da wird er aber in diesem Jahr wenig Glück haben. Nicht weil Fichten in dem Waldgebiet nicht gewollt sind. Ganz im Gegenteil. Rund um die Hütten, die bei der Weihnachtsbaum-Selbst-Schlagen-Aktion aufgebaut werden, standen in der Vergangenheit prächtige Exemplare. Davon sind allerdings nur noch Stümpfe übrig und etwas Sägemehl, Spuren der Kettensägen, die alle Fichten gekappt haben. Zugesetzt hat ihnen der Borkenkäfer. Die Krabbeltiere, kaum größer als zwei bis fünf Millimeter, tragen so wohlklingende Namen wie Kupferstecher oder Buchdrucker. In der Masse richten sie im Nadelwald einen immensen Schaden an. Der Anfang vom Ende sei der Sturm Friederike 2018 gewesen, berichtet von Loë. Die Bäume waren dadurch geschwächt.

Borkenkäfer an sich gibt es in jedem Wald, erklärt Walbersdorf. In einer normalen Population stellen sie keine Bedrohung für die Fichten dar. Ein Baum könne die Schädlinge ausharzen. Sind die Bäume aber anfällig, wegen Sturmschäden oder der lang anhaltenden Dürre der vergangenen beiden Jahre, dann kann er sich nicht mehr selbst gegen den Borkenkäfer wehren.

Von Loë malt das Szenario aus. Ein Borkenkäfer-Weibchen legt 800 Eier, geht man davon aus, dass die Hälfte männliche, die andere Hälfte weibliche Nachkommen sind, so bekommen 400 Weibchen Nachwuchs. Bei drei Populationen im Jahr sind das 64 Millionen kleine Borkenkäfer (mal abgesehen von Fressfeinden und natürlicher Auslese).

 Maschineneinsatz in den Kulturen. Auf einem Hektar werden 8000 Tannenbäume angepflanzt.

Maschineneinsatz in den Kulturen. Auf einem Hektar werden 8000 Tannenbäume angepflanzt.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Die Witterungsbedingungen waren bereits im vergangenen Jahr durch den milden Herbst so gut, dass auch eine vierte Population möglich war. Die Fichte, für den Forstbetrieb war sie weniger als Weihnachtsbaum attraktiv, aber als ertragreicher Baum, der als Bauholz verkauft wurde. „Wir werden Ende nächsten Jahres keine Fichten mehr haben“, sagt von Loë mit Bedauern in der Stimme. Die befallenen Bäume müssen gefällt werden.

So ist es auch den schmucken Fichten an den Hütten ergangen. Die werden in diesem Jahr fehlen, wenn sich wieder viele Menschen aus der Umgebung und dem Ruhrgebiet aufmachen, um „ihren“ Weihnachtsbaum zu schlagen. An drei Adventswochenenden, dem zweiten, dritten und vierten, haben Familien ab 10 Uhr bis zur Dämmerung die Gelegenheit, darüber zu beraten, welcher Baum ihr Zuhause schmücken soll. Die gewünschte Größe liegt bei den meisten zwischen 1,75 und 2,25 Metern, weiß Walbersdorf. Die Nordmanntanne kostet 19 Euro pro laufender Meter. Vereinzelt gibt es auch Aktionsbäume für 25 Euro. Das sind zum Beispiel solche, die dringend wegsollen, um in der Reihe ein bisschen Platz zu schaffen. Ist eine Schonung komplett abgeerntet, wird der Boden gemulcht und eine Zwischenfrucht eingesät. Die Bäume aus dem Bestand von Schloss Wissen tragen das PEFC-Siegel. Das steht für nachhaltige Waldbewirtschaftung, sprich für nach ökologischen Kriterien produzierte Weihnachtsbäume.

 Dirk Walbersdorf mit Spezialwerkzeug.

Dirk Walbersdorf mit Spezialwerkzeug.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Wenn die Bäume in Weeze ankommen, sind sie drei Jahre alt. Zwei Jahre waren sie im Saatbeet, ein Jahr im Vorschulbeet. Die verschiedenen Stadien, die ein Weihnachtsbaum durchlaufen muss, bis er die richtige Größe hat, ist gut an den nebeneinanderliegenden Feldern zu sehen. „Am Anfang wächst die Tanne langsam“, sagt Walbersdorf und steht an einem Feld, bei dem ihm die zukünftigen Weihnachtsbäume nur bis kurz über den Knöchel gehen. Die Samen für die späteren Bäume stammen aus dem Kaukasus und werden durch Baumkletterer geerntet. Wer den Weg eines solchen Baumes kennt, der weiß seinen Weihnachtsbaum vielleicht noch ein bisschen mehr zu schätzen und schmückt ihn anschließend besonders liebevoll.

 Baeume kšnnen auch selbst gesŠgt werden

Baeume kšnnen auch selbst gesŠgt werden

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Eine lange Zeit der Hege und Pflege hat er bis zu seinem großen Auftritt im Wohnzimmer hinter sich. „Es ist eine Freude, die bis Mariä Lichtmess geht“, sagt von Loë begeistert. Damit man bis zum 2. Februar Freude an dem Baum hat, empfiehlt es sich, den Baum regelmäßig zu gießen und nicht zu nah an die Heizung zu stellen. Dann steht der Weihnachtsfreude nichts mehr im Wege.

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