Kevelaer Kevelaer in der Playmobil-Perspektive

Kevelaer · Für Pilger ist der Kevelaerer Wasserturm mehr als nur ein Wahrzeichen – sobald sie die Kuppel sehen, wissen sie: Es ist fast geschafft. Bei einer Turmbesteigung hat man ähnliche Gedanken: 113 Stufen bis zur Marienstadt in Miniaturformat.

 Zusammen mit dem technischen Leiter der Stadtwerke, Günter Naß, sieht sich RP-Volontärin Elfi Vomberg die Stadt Kevelaer vom Wasserturm aus an.

Zusammen mit dem technischen Leiter der Stadtwerke, Günter Naß, sieht sich RP-Volontärin Elfi Vomberg die Stadt Kevelaer vom Wasserturm aus an.

Foto: Gerhard Seybert

Für Pilger ist der Kevelaerer Wasserturm mehr als nur ein Wahrzeichen — sobald sie die Kuppel sehen, wissen sie: Es ist fast geschafft. Bei einer Turmbesteigung hat man ähnliche Gedanken: 113 Stufen bis zur Marienstadt in Miniaturformat.

 Imposant erhebt sich der Turm über die Stadt.

Imposant erhebt sich der Turm über die Stadt.

Foto: Seybert, Gerhard (seyb)

86, 87, 88 — bloß nicht runter schauen. Zu spät. "Fixieren Sie die Stäbe", rät Günther Naß. Er hat den Aufstieg schon einige Male gewagt. "Aber beim ersten Mal musste ich auch schlucken, als ich auf der Hälfte war und plötzlich runter schaute", erklärt der Technische Leiter der Stadtwerke Kevelaer. 94, 95, 96 — ein Schlucken, ein Japsen nach Luft, und weiter geht's.

 Über eine Wendeltreppe geht es zur Galerie unterhalb des Staubehälters.

Über eine Wendeltreppe geht es zur Galerie unterhalb des Staubehälters.

Foto: Seybert, Gerhard (seyb)

Von außen sah der Kevelaerer Wasserturm noch so harmlos aus. 54 Meter — ein Klacks, dachten die Besucher des denkmalgeschützten Bauwerkes noch wagemutig. Doch der Aufstieg hat es in sich: Eine Wendeltreppe, die durch die Stufen den Blick nach unten frei gibt, schwingt sich in 40 Meter Höhe. Der Blick wandert in die Tiefe: kalter Beton. Nur wenig Licht dringt durch die dicken Backsteinmauern.

111, 112, 113 — die kleine Luke ist erreicht. Noch einmal den Kopf einziehen, durch die Öffnung zwängen, und schon weht dem Besucher der eiskalte Wind um die Nase. "Sind Sie eigentlich schwindelfrei?" Die Frage kommt genau 113 Stufen zu spät. Doch die richtige Frage folgt sofort: "Ein einmaliger Ausblick, oder?" Ja. 113 Momente auf der Wendeltreppe sind auf einen Schlag vergessen. Gedankenverloren schweift der Blick in die Ferne. Zur Biogasanlage, nach Sonsbeck, zur Kirchturmspitze und den Windrädern von Twisteden bis hin nach Wetten.

Das Gelderland liegt dem Betrachter zu Füßen. Wie eine Playmobil-Stadt wirkt Kevelaer plötzlich. Die Müllabfuhr fährt durch die Straßen, Spielzeug-Autos schlängeln sich durch die Gassen, und kleine Menschen kreuzen Straßen. Zwischendurch bleibt das Auge an den Kirchturmspitzen von St. Marien und St. Antonius hängen. "Hin und wieder komme ich auch hier hoch, um die Stadt auf mich wirken zu lassen", erklärt Günther Naß und klopft das Mauerwerk des Wasserturmes ab. Ein zufriedenes Nicken. "Sieht alles gut aus. Hier ein paar kleine Risse im Putz — aber sonst einwandfrei", urteilt der technische Leiter der Stadtwerke zufrieden über den Zustand des Wasserturms.

Eine Glocke durchbricht jäh die Stille. Große Pause. Bis gerade wirkte das Schulzentrum wie ein riesiger verschlafener Betonklotz. Plötzlich strömen wie aus einem Ameisenhaufen die Kinder aus den Gebäuden. Und trotzdem: Hier oben herrscht absolute Stille. Nur aus der Ferne sind Kinderlachen und das Toben auf dem Schulhof zu hören. Jetzt klingt auch Günther Naß beim Blick in die Tiefe melancholisch: "Solardächer, Windräder, Biogasanlage, Neubaugebiete — die Stadt sieht völlig anders aus als vor 30 Jahren noch — das ist schon interessant. Das fällt von hier oben viel mehr auf."

Während der Turm früher für die Wasserversorgung der Kevelaerer da war, sichert das Bauwerk heute die Kommunikation der Bürger. Ein Mobilfunkanbieter hat sich in luftiger Höhe eingemietet, um dort Antennen anzubringen. "So ändern sich die Zeiten", erklärt Günther Naß lachend. 1904 wurde der Bau fertig gestellt. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts diente der 54 Meter hohe Turm als Wasserdrucksäule, so dass nachts das Wasser in den 450 Kubikmeter großen Behälter in die Kuppel hoch gepumpt und von dort aus in die Leitungen der Haushalte verteilt wurde.

Das Fassungsvermögen des Wasserbehälters würde heute bei weitem nicht mehr ausreichen, um die Kevelaerer mit Wasser zu versorgen. "Wir haben heute ja auch fünf Ortschaften mehr, die zu Kevelaer gehören. Mit dem Turm könnten wir keine flächendeckende Versorgung heutzutage leisten", erklärt Günther Naß. 1976 wurde dann das neue Wasserwerk gebaut. Eines der Wahrzeichen Kevelaers hatte ausgedient.

Doch der Wasserturm steht seitdem nicht leer. Das denkmalgeschützte Bauwerk wird heute von den Kevelaerer Stadtwerken genutzt. Mehrere Büros sind auf der unteren Ebene des Turms untergebracht. Unter der Kuppel lagern außerdem die Weihnachtsbeleuchtung sowie die Anlage des Mobilfunknetzes.

Die Stille in 54 Metern Höhe wird schon wieder gestört. Ding, deng, dong. Die große Pause ist vorbei, und das Schulzentrum verwandelt sich wieder in einen riesigen verschlafenen Beton-Riesen.

(RP/ila)
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