Kevelaer "Jemand trägt die Schuld an Armut"

Kevelaer · Der Träger des alternativen Nobel-preises, Bischof Erwin Kräutler, sprach zur Zukunft der Kirche. Die Botschaft: "Habt den Mut, die Kirche zu verändern."

Bischof Erwin Kräutler suchte auch die Diskussion mit den Gästen.

Foto: Evers

Was haben der Niederrhein und Amazonien im Norden von Brasilien gemeinsam? Welche Impulse kann Kirche hierzulande von pastoraler Praxis im Amazonasgebiet erhalten? Auf Einladung des Katholischen Bildungsforums im Kreisdekanat Kleve war Bischof Erwin Kräutler im Kevelaerer Priesterhaus zu Gast und berichtete von seiner Arbeit in der Diözese Xingu am Amazonas. Er lebt und arbeitet dort seit 52 Jahren.

Zum Thema "Zukunft der Kirche" trug er ein vierteiliges Modell vor und kam mit einigen der etwa 150 Zuhörer ins Gespräch. Erwin Kräutler erhielt 2010 den alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz für die Menschenrechte der indigenen Völker Brasiliens, für den Erhalt des tropischen Regenwaldes und gegen jede Art der Ausbeutung von Mensch und Natur.

Kernbotschaft seines Vortrages war die Aufforderung, aktiv auf bedürftige Menschen zuzugehen, Barmherzigkeit zu praktizieren. Er nennt dies die samaritäische Dimension der Kirche. "Als Getaufte haben wir Verantwortung für Menschen", betonte er. Kirche müsse daher direkt zu den Menschen gehen, sie dort abholen wo sie sind, sei es in Armut, Not oder anderer Bedrängnis. Als zweite Dimension kirchlichen Handelns nannte er die prophetische und meinte damit das Forschen nach den Ursachen für Not. Armut sei eine Tatsache, die hinterfragt werden müsse. "Es gibt Armut, und jemand trägt die Schuld daran", sagte er und berichtete aus seiner Diözese, wie kleine Landwirte, die eigentlich ausreichendes Einkommen haben, durch Großgrundbetriebe in die Not getrieben werden. "Die Indios werden arm gemacht, weil ihnen Land weggenommen wird", beschrieb er einen auch auf der ganzen Welt zu beobachtenden Mechanismus. Drittens betonte Erwin Kräutler den familiären Charakter der Kirche. "Kirche lebt im kleinen Kreis, ist von familiärer Herzlichkeit geprägt", sagte er und ging während seines Vortrags immer wieder durch die Reihen des Publikums, sprach die Zuhörer direkt an. Einige Wortmeldungen bezogen sich auf den derzeit in Deutschland vollzogenen Strukturwandel der Kirche, nach dem viele kleine Gemeinden zu großen Pfarreinheiten zusammengefasst werden. Kräutler sieht diese Entwicklung ebenfalls kritisch. Die Basisgemeinde der Kirche sollte klein und familiär sein, betonte er. Das Zusammenlegen der Gemeinden sei finanziell bedingt, zerstöre die Nähe, es sei nur eine "Palliativ-Lösung". Als letzten Punkt nannte er die mystische Dimension. "Menschen brauchen Mystik und Gebet, sie brauchen kontemplative Momente im Leben", so der Bischof. Im Gespräch mit den Zuhörern vertiefte er seine Impulse. "Indigene Völker bei uns, das sind Hartz IV-Empfänger, Flüchtlinge, Obdachlose", sagte er, mit ihnen gemeinsam aus der Not heraus gehen, sei Aufgabe des Christen. Eine Besucherin beklagte eine in unserer Gesellschaft zu beobachtende Glaubenslosigkeit, leere Kirchen, religionslose Menschen. Der 78-Jährige reagierte spontan: "Das glaube ich nicht! Irgendetwas vom Glauben ist in jedem Menschen. Weihnachten sind die Kirchen ganz voll. Also ich verliere die Hoffnung nicht."

"Möchten Sie in Deutschland Bischof sein?", lautete eine Frage aus dem Publikum. "Ich wäre wahrscheinlich nie hier Bischof geworden", so der gebürtige Österreicher mit einem Lächeln.

Erwin Kräutler ist zwar offiziell im Ruhestand, faktisch arbeitet er in Amazonien weiter wie immer, kämpft zum Beispiel weiterhin für den Erhalt der Lebensgrundlagen indigener Völker. Großgrundbesitzer feinden ihn an, verübten mehrfach Anschläge auf ihn. Er lebt daher seit einigen Jahren unter Polizeischutz.

(ath)