Der Reichswald In Ruhe gearbeitet

Niederrhein · Der Klever Forstamtsleiter Hanns-Karl Ganser ist im Ruhestand. Nahezu sein halbes Leben hat er für den Reichswald gearbeitet. Er wohnt sogar mittendrin. Sein letzter Dienstort war das Regionalforstamt.

 Er hat den Wald verstanden: Forstdirektor Hanns-Karl Ganser, der seit 1987 für den Reichswald verantwortlich war und jetzt im Ruhestand ist.

Er hat den Wald verstanden: Forstdirektor Hanns-Karl Ganser, der seit 1987 für den Reichswald verantwortlich war und jetzt im Ruhestand ist.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Wenn Hanns-Karl Ganser (65) erzählt, so tut er es ruhig. Seine sonore Stimme ist tief. Er wirkt ausgeglichen. Keine Spur davon, dass sein Puls irgendwie die gewohnte Bahn verlassen könnte. Dass er derart gelassen ist, hängt mit seiner ehemaligen Arbeit zusammen. Ganser hat 46 Jahre im Wald gearbeitet. Immer ganz in Ruhe. Denn der Wald kennt keine Hast. Alles, was hier passiert, braucht vor allem eins: Zeit.

Der bodenständige Mann ist seit einigen Wochen Pensionär und der letzte Klever Forstamtsleiter. Nach ihm kommt keiner mehr. Eine Straffung innerhalb der Behörde sorgte dafür, dass die Stelle nicht mehr benötigt wurde. 1987 hatte Ganser seinen Dienst in Kleve angetreten. Zuletzt war er einige Jahre im Regionalforstamt Niederrhein in Wesel beschäftigt und dort für 16.000 Hektar nordrhein-westfälischen Grundbesitz verantwortlich. Der Forst wird ihn auch im Ruhestand nicht loslassen. Zusammen mit seiner Frau wohnt er immer noch im Wald: Nachdem seine Stelle in Kleve wegrationalisiert wurde, kaufte er das ehemalige Forsthaus im Tiergartenwald. Es ist ein mächtiges, weißes Haus. Ein beeindruckendes Geweih hängt über der Garage. Das Gebäude ist mehr als 100 Jahre alt. Im Forsthaus ist es egal, durch welches Fenster man blickt. Zu sehen sind immer nur Bäume. „Der Wald hat mich geprägt. Wer hier sein Leben verbringt, den lässt er nicht mehr los“, sagt Ganser nach mehr als vier Jahrzehnten Arbeit im Grünen.

Dass er den Weg in den Wald fand, lag an seinem Vater. In der Nähe von Aachen aufgewachsen, nahm er ihn regelmäßig zu einem Freund mit, der Förster in der Eifel war. Nach dem Studium der Forstwissenschaften in Göttingen und ersten Stationen trat er als Nachfolger von Forstdirektor Werner Linnenbrink seinen Dienst in Kleve an. „Ich wollte in einem Staatswald arbeiten, der möglichst groß sein sollte“, sagt der Diplom-Forstwirt. Dass es im Reichswald, einem der größten zusammenhängenden Staatsforste in NRW, einiges zu tun gab, wusste Ganser. Es ging damals wie heute darum, den Wald umzubauen. „Nach dem Krieg wurde ein Drittel des Reichswalds gerodet und zusätzlich durch Reparationshiebe zerstört. Pflanzkolonnen haben dann in den 50er Jahren im Schnellverfahren flächendeckend hauptsächlich Kiefern gesetzt. Sie waren günstig, pflegeleicht und brachten Erträge“, sagt er. So entwickelten sich die ökologisch minderwertigen Monokulturen.

Der Auftrag, diese in einen Mischwald umzugestalten, ist nach Ansicht von Ganser gelungen, aber nicht beendet. Etwa 20 verschiedene Baumarten gibt es jetzt im Reichswald. 50 Prozent des Waldanteils sind Laubbäume. Über die Jahre hinweg hat der Forstwissenschaftler ein Gespür dafür entwickelt, wo es dem Wald an etwas fehlt. Der Waldzustandsbericht zeigt jährlich auf, wie es um Kleves grüne Lunge bestellt ist. In diesem Jahr, so der Förster, wird er schlechter ausfallen. Die Hitze im Sommer machte auch dem Forst zu schaffen. „Der Reichswald ist nicht nur deshalb noch geschwächt. Daher müssen die Forstkulturen weiter gepflegt werden.“ Er sagt dies wie ein Arzt seinem Patienten, der sich Hoffnung machen darf, wenn er sich an die Therapievorgaben hält.

Für Ganser sind nicht alle Bäume gleich: „Ich finde die Eiche ist ein toller Baum. Sie wird alt, ihr Holz ist gut, und sie versorgt das Wild noch mit Futter.“ Die Kurfürsteneiche ist ein Beispiel dafür, wie alt diese Art werden kann. Der Baum stand bis 1990 im Naturschutzgebiet Geldenberg, bevor Orkan Wiebke ihn umlegte. Zu dem Zeitpunkt war er zwischen 500 und 600 Jahre alt. Das Holz liegt heute noch da. „Aus diesem wachsen wieder neue Bäume“, sagt Ganser. Im Wald hat nämlich auch der Tod einen Sinn. Totholz ist für Pflanzen und Tiere von enormer Bedeutung. Denn es steckt voller Leben. Urteile über den Wald sind schnell gefällt. „Immer noch bekomme ich zu hören, dass früher hier alles ordentlicher ausgesehen hätte.“ Das Chaos ist jedoch gewollt. Flächen werden sich selbst überlassen. An den Stellen wird sichtbar, was das Wort „unwegsam“ bedeutet. Greift diese Maßnahme, so tun sich an anderen Stellen Probleme auf: „Durch ein verändertes Freizeitverhalten nimmt der Druck auf den Wald zu. Gründe dafür sind rücksichtslose Downhill-Fahrer, Hundebesitzer, die ihre Tiere wild herumlaufen lassen oder Nachtwanderungen, bei denen mit Taschenlampen Tiere verschreckt werden. Auch Radsport-Gruppen, vor denen Fußgänger flüchten müssen, um nicht angefahren zu werden, gehören dazu.“ Der Förster macht eine Pause, überlegt und ergänzt: „Ich will nicht pauschalisieren, aber nicht wenige dieser Radsportler kommen aus den Niederlanden.“

Was sich in den 40 Jahren deutlich verändert hat, sind die Aufgaben des Waldpflegers. Heute geht es darum, als Öko-Manager den Naturschutz, die Forstwirtschaft und das Freizeitverhalten zu verbinden. „Die administrativen Aufgaben steigen ständig. Wir sind immer weniger dort, wo wir hingehören“, betont der 65-Jährige. Das Büro des Försters ist eigentlich der Wald. Jetzt sitzt er erheblich länger am Schreibtisch, um Holzangebote zu prüfen oder die Bestände durchzurechnen.

Hinzu kommt, dass die Reviere immer größer werden. Als der Pensionär seinen Dienst in Kleve begann, pflegten fünf Forstmeister den Reichswald. Heute teilen sich drei das Gebiet. Früher habe er morgens zwei Briefe unterschrieben und das war es. „Man hat vieles mit dem gesunden Menschenverstand entschieden. Das geht heute nicht mehr, weil es jetzt Vorschriften dafür gibt“, blickt er zurück.

  1861 - 1896:  Oberförster Eduard von Weiler

1861 - 1896: Oberförster Eduard von Weiler

Foto: Markus van Offern (mvo)
  1896 - 1913:  Forstmeister Engelbert Danckelmann

1896 - 1913: Forstmeister Engelbert Danckelmann

Foto: Markus van Offern (mvo)
  1913 - 1928:  Oberförster Wilhelm Hasken

1913 - 1928: Oberförster Wilhelm Hasken

Foto: Markus van Offern (mvo)
  1928 - 1948:  Forstmeister Max Gabriel

1928 - 1948: Forstmeister Max Gabriel

Foto: Markus van Offern (mvo)
  1946 - 1950:  Forstmeister Richard Borggreve

1946 - 1950: Forstmeister Richard Borggreve

Foto: Markus van Offern (mvo)
  1950 - 1966:  Oberforstmeister Wilh. Murmann

1950 - 1966: Oberforstmeister Wilh. Murmann

Foto: Markus van Offern (mvo)
  1966 - 1987:  Forstdirektor Werner Linnenbrink

1966 - 1987: Forstdirektor Werner Linnenbrink

Foto: Markus van Offern (mvo)

Hans-Karl Ganser hat den Forst nie verlassen und wird es auch jetzt nicht tun. Er will weiterhin im Tiergartenwald wohnen. Das Leben hier bedeutet für ihn Entschleunigung, Ruhe, Harmonie und Schönheit. Der Forst setzt der täglichen Hektik die Langsamkeit des Wachstums entgegen. Im Wald wird in Jahrhunderten gerechnet. Da ist ein Berufsleben nur eine Momentaufnahme. Das hat zur Folge, dass Ganser die Ergebnisse seiner Arbeit nicht erleben wird.

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