Stadt Kempen Warum Senioren leicht zum Opfer werden

Stadt Kempen · Heinz Ott kennt sie alle: die Ablenkungsmanöver der Spendensammler, den Wasserwerker-, Dachdecker- und den Enkeltrick. Der Kriminalhauptkommissar ist auf Straftaten zum Nachteil älterer Menschen spezialisiert.

Eines muss man den Tätern lassen: Fantasie haben sie. Mit einer gehörigen Portion krimineller Energie denken sie sich Geschichten aus, mit denen sie Senioren um ihr Geld bringen. War es früher eher der in Not geratene Enkel, der — erkältet, mit schlechter Telefonverbindung und deshalb mit ungewohnt fremder Stimme — die Oma anrief und zum Beispiel wegen eines Unfalls dringend Geld brauchte, so sind es heute häufig die vermeintlichen Handwerker, die sich Zugang zu den Wohnungen von arglosen Senioren verschaffen. Jüngst wurde in Grefrath ein 86-Jähriger Opfer eines angeblichen Dachdeckers.

"Legenden" nennt Fachmann Heinz Ott diese Geschichten. Der Kriminalhauptkommissar beschäftigt sich mit dem Fachbereich "Straftaten zum Nachteil von älteren Menschen" und hört immer wieder neue Legenden. "Vor drei Jahren wurde uns häufig der Dachdecker-Trick gemeldet", sagt Ott. "Die Täter traten in der Regel zu zweit auf, klingelten an der Tür und wiesen auf einen Missstand am Dach hin, den man sofort dringend überprüfen müsse. Während einer der Täter sich vom Opfer durchs Haus führen ließ, durchsuchte der andere die Wohnung nach Geld und Schmuck", schildert der Kommissar den Tathergang.

Aktuell steht bei den Tätern offenbar der Wasserwerker-Trick "hoch im Kurs". "Das Prinzip ist immer gleich", sagt Ott. "Es reicht, wenn eine der Personen einen Blaumann trägt. Die Täter erzählen zum Beispiel, dass es zwei Häuser weiter einen Wasserrohrbruch gegeben habe und unter dem Vorwand, den Druck auf den Leitungen überprüfen zu müssen, gelangen sie ins Haus", erklärt Ott.

Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz versuchen es die Täter auch immer noch mit dem Enkeltrick. Im Jahr 2012 gab es im Kreis Viersen sieben Fälle, im laufenden Jahr zählte die Polizei 14 versuchte oder durchgeführte Enkeltrickbetrügereien. Bei den Handwerkertricks waren es im vergangenen Jahr 15 gemeldete Fälle, 2013 bislang 18. Zugenommen hat die Zahl der Übergriffe am Geldautomaten. "In diesem Jahr hatten wir bisher sechs Fälle und drei weitere im Umfeld von Banken. 2012 war das überhaupt kein Thema", sagt Ott.

Bei den Straftaten am Geldautomaten versuchen die Täter, ihre Opfer abzulenken und gegebenenfalls auch wegzuschubsen. "Die Täter sind meist extrem jung und stammen aus Osteuropa. Ihnen ist es egal, dass sie gefilmt werden, weil sie weder strafmündig sind noch Papiere haben", erklärt der Hauptkommissar. Die "Straftaten zum Nachteil älterer Menschen" sind ein relativ junger Arbeitsbereich. "Als Reaktion auf die Enkeltrickbetrügereien wurden Anfang der 90er Jahre Ermittlungsschwerpunkte eingerichtet; in jeder Behörde wurden zwei Beamte abgestellt", sagt Polizei-Pressesprecher Harald Moyses.

Senioren sind für die meist "überörtlichen" Täter, die in Banden arbeiten, aus vielerlei Gründen willkommene Opfer: "Ältere Menschen sehen und hören oft nicht gut, sie können nicht so schnell laufen und sind oft allein unterwegs", sagt Ott. Wenn ein Senior auf der Straße angegangen werde, sei er oft wie versteinert und reagiere nicht schnell genug auf den Übergriff. Ältere Menschen lieferten in der Regel auch selten exakte Personen- und Fahrzeugbeschreibungen.

Die Täter indes sind auf ihr kriminelles Handwerk gut vorbereitet. "Es gibt beim Enkeltrick zum Beispiel Anrufer- und Abholerteams, die das Wohnumfeld schon während eines Telefonats observieren", berichtet der Ermittler. Typische Telefongespräche fangen etwa so an: "Rate mal, wer hier ist?!" Der Täter hofft, dass der ältere Mensch daraufhin einen Namen sagt. Ausgesucht werden die Opfer in der Regel über das Telefonbuch, das die Täter nach altmodischen Vornamen durchforsten. Inzwischen gibt es auch eine Variante , die auf Bürger, die aus Osteuropa stammen, zugeschnitten ist. "Die Täter setzen auf einen Schockanruf aus dem Ausland. Da heißt es zum Beispiel: Ich bin in Schwierigkeiten, ich hatte einen Unfall, mir wurden alle Papiere gestohlen. Das Opfer soll dann einen größeren Geldbetrag überweisen", erzählt Ott. Die Dunkelziffer bei den Trickbetrügereien ist hoch. "Manche Senioren schämen sich so sehr dafür, dass sie den Betrügern aufgesessen sind, dass sie sich erst auf Drängen ihrer Kinder an die Polizei wenden." So still und leise wie die Straftaten oft vonstattengehen, so tragisch sind sie meist für die Betroffenen: "Eine ältere Dame sagte dem Kommissar traurig: Jetzt ist das Geld für meine Beerdigung weg."

(RP)
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