Stadt Kempen Von Heerbahnen und Totenköpfen

Stadt Kempen · Am kommenden Sonntag berichtet der Kempener Historiker Dr. Hans Kaiser im Rokokosaal des Franziskanerklosters über Kempener Straßen; nach wem sie benannt sind und nach wem sie eigentlich benannt sein müssten.

 Überraschung beim Straßenbau: Kempener Arbeiter sind auf den französischen Soldatenfriedhof am Hagelkreuz gestoßen.

Überraschung beim Straßenbau: Kempener Arbeiter sind auf den französischen Soldatenfriedhof am Hagelkreuz gestoßen.

Foto: Kreisarchiv

Kempen und seine Straßen. Es ist eine alte Heerstraße gewesen, die zur Gründung des Ortes geführt hat. Sie führte wohl schon in römischer Zeit von Novesium – dem späteren Neuss – über Wachtendonk zur Kaiserpfalz Noviomagus – dem späteren Nimwegen. Erkennbar ist sie heute noch im Lauf der Peter- und der Kuhstraße. Sie lief mitten durch die später gebaute Pfarrkirche hindurch. An einer Abzweigung, die nach Hude ging – dem heutigen Oedt – siedelten sich um 1000 die ersten Einwohner an; also an der Ecke der heutigen Peterstraße/Buttermarkt.

 "Am Hagelkreuz" ist zunächst der Vorläufer der heutigen Terwelpstraße, dann übernahm den Namen das neue Wohnviertel im Nordwesten der Stadt Kempen.

"Am Hagelkreuz" ist zunächst der Vorläufer der heutigen Terwelpstraße, dann übernahm den Namen das neue Wohnviertel im Nordwesten der Stadt Kempen.

Foto: Kreisarchiv

Listet man die 240 Kempener Straßennamen auf – ohne Schmalbroich – dann ergibt sich eine Rangfolge mit bestimmten Schwerpunkten. 26 Mal liegen historische Verknüpfungen zugrunde wie bei der Engerstraße, der Straße, die im Mittelalter das Ende der Siedlung darstellte. Oder wie beim Hessenring, der an die Erstürmung Kempens durch hessische Söldner am Morgen des 7. Februar 1642 erinnert – also im Dreißigjährigen Krieg. 55 Mal sind die Straßennamengeber "Kempener", daus heißt seinerzeit in Kempen geborene oder ansässige Personen. Wie Prof. Gerhard Terwelp, der Verfasser der ersten, 1894 erschienenen Stadtgeschichte.

Die nach ihm benannte Straße hat eine wechselvolle Geschichte. In den 1950er Jahren war sie noch ein besserer Feldweg und hieß "Am Hagelkreuz". Ab 1958 wurde das ganze Gelände bebaut; in der Nähe kamen die neue Berufsschule unter und das mittlerweile wieder abgebrochene Finanzamt an der Von-Saarwerden-Straße. Für die Lehrer der Berufsschule entstanden Siedlungshäuser. Der Weg "Am Hagelkreuz" wurde durch eine asphaltierte Straße ersetzt. Sie führte an einem Steinkreuz vorbei, zu dem in alter Zeit Prozessionen zogen, die um gutes Wetter für die Ernte beteten – damit kein Hagel komme.

Aber als die Arbeiter die Trasse ausschachteten, stießen sie auf Totenschädel. Deren Träger hatten 1794 den Niederrhein erobert – als Soldaten der Französischen Revolution unter der Devise "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit." Ihre Verwundeten wurden in der Paterskirche gepflegt. Wer dort starb, wurde den modernen Hygienevorschriften der Revolutionsregierung folgend vor den Toren der Stadt beigesetzt – am Hagelkreuz.

Erst als 1970 Hüls im Rahmen der kommunalen Neugliederung für kurze Zeit "Kempen 2" wurde, entstand aus dem "Hagelkreuz" die Terwelpstraße, um eine Doppelung mit einem Hülser Straßennamen zu vermeiden. Aus demselben Grund bekam Kempens Schulstraße nun das Attribut "Alte" vorangesetzt. Der Name "Hagelkreuz" aber ging auf das neue Stadtviertel über, das jetzt im Nordwesten entstand.

Hans Kaiser wird nicht nur nostalgische Rückblicke werfen, er wird auch kritische Bemerkungen zur Benennung Kempener Straßen machen. Die empfindet er nämlich teilweise als einseitig. Auch hier ist der Hintergrund historisch: Um 1560 war Kempen ein Zentrum der Reformation am Niederrhein, und die tüchtigen, dem Neuen aufgeschlossenen Evangelischen dominierten die Stadt. Bis ab 1590 der glaubensstrenge Kurfürst Ferdinand ihren Auszug erzwang – zum Beispiel nach Krefeld, wo sie am Aufbau der Textilindustrie mitwirkten. Eine Jahrhunderte alte Tradition von Handwerk, Handel und Gewerbe brach ein. Kempen, einst geistiges und wirtschaftliches Zentrum zwischen Rhein und Niers, blieb ein erzkonservativ-katholisches Ackerstädtchen bis ins 20. Jahrhundert hinein und wurde von seiner aufgeschlosseneren Nachbarstadt Krefeld weit überflügelt.

Die 55 Straßennamen, die nach Kempenern benannt worden sind, gelten daher fast ausschließlich Angehörigen der traditionell katholischen Führungsschicht. Der Ursulinerin Hilaria, die die Höhere Töchterschule leitete und bürgerlich Luise von Duesberg hieß, wurde sogar zweimal gedacht: Mit dem Luise-von-Duesberg-Gymnasium und dem Hilariaweg – wobei der Name Luise von Duesberg die bürgerliche Form darstellt und der zweite die vom Orden festgelegte Form Hilaria. Vertreter der lange Zeit ausgegrenzten evangelischen und jüdischen Randgruppen kommen in den Kempener Straßennamen jedoch so gut wie nicht vor.

Auch dafür wird Hans Kaiser in seinem Vortrag am kommenden Sonntag zahlreiche Beispiele anführen.

(hk-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort