Serie Vor 627 Jahren Vom Gasthaus zum Medizinzentrum

Kempen · Johann von Broichhausen war ein Dienstmann des Kölner Erzbischofs. In Uerdingen trieb er für ihn von den Bierbrauern die Steuer ein, eine Funktion, mit der er gutes Geld verdiente. Deshalb gehörte ihm am Kempener Markt das große Weinhaus. Das stiftete er jetzt zugunsten armer Bürger. Sein Haus diente künftig der Unterbringung einer festgelegten Zahl bedürftiger Kempener, meistens sechs.

 Am Anfang des Kempener Krankenhauses stand das "Gasthaus" am Markt. Übrig geblieben ist die Heilig-Geist-Kapelle, hier 1920 als Hotel Kempener Hof.

Am Anfang des Kempener Krankenhauses stand das "Gasthaus" am Markt. Übrig geblieben ist die Heilig-Geist-Kapelle, hier 1920 als Hotel Kempener Hof.

Foto: Propsteiarchiv

KEMPEN In dem neuen Armenhaus hatte jeder Einwohner ein eigenes Schlafzimmer, als Wohnung diente ein Gemeinschaftsraum. Auch durchziehende Pilger fanden ein Obdach. Diese Menschen lebten dort quasi als Gäste der Stiftung. Deshalb hieß ihre Unterkunft zunächst "Gasthaus", und die Straße, an der sie lag, hieß Gasthausstraße. Als an dieser Straße 1866 Kempens erstes Kolpinghaus bezogen worden war, wurde sie in Josefstraße umbenannt, denn der heilige Josef gilt als Patron des Kolpingwerkes. Noch eine Umbenennung folgte: 1970 bekam Kempen als neuen Stadtteil Hüls. Dort gab es schon eine Josefstraße. Deshalb erhielt die Kempener Josefstraße zur Erinnerung an die Broichhausen-Stiftung ihren heutigen Namen Heilig-Geist-Straße. Im Rahmen der Altstadtsanierung wurde sie als Nordsekante bis zum Hessenring verlängert.

 Der heutige Haupteingang zum Kempener Krankenhaus an der Von-Broichhausen-Allee 1.

Der heutige Haupteingang zum Kempener Krankenhaus an der Von-Broichhausen-Allee 1.

Foto: Wolfgang Kaiser

Der Heilige Geist galt als Verkörperung der göttlichen Barmherzigkeit, als Vater der Armen, weshalb Armenhäuser wie das von Broichhausen gestiftete unter seinem besonderen Schutz standen. Johann von Broichhausen ging es bei seiner Stiftung weniger um Menschenfreundlichkeit; vielmehr dachte er an sein Seelenheil und das seiner Familie. Die Gebete derer, für die er etwas getan hatte, sollten ihm die Vergeltung seiner Sünden im Fegefeuer abkürzen. Dazu dienten Gottesdienste, in denen die Insassen des Armenhauses für die Seelen der verstorbenen Broichhausens beteten. Dafür bekam das Gasthaus eine eigene Kapelle - die Heilig-Geist-Kapelle, um 1420 am Markt neben dem Gasthaus erbaut. Ein Geistlicher, der die Bezeichnung "Rektor" trug, musste in dem Kirchlein mindestens an drei Wochentagen die heilige Messe lesen. Er wohnte in einem Haus gleich neben der Kapelle.

Aber erst am 24. Juli 1421 wurde Johann von Broichhausens Stiftung durch den Kölner Erzbischof Dietrich von Moers genehmigt. Somit gilt 1390 als Stiftungsjahr, 1421 als Gründungsjahr des heutigen "Hospitals zum Heiligen Geist". Damit ist die Kempener Stiftung in Deutschland eine der ältesten dieser Art. Die Verwaltung des Armenhauses und die Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens führten zwei Gasthausmeister durch, auch Provisoren genannt. Ernannt wurden sie durch einen Vertreter der Stifterfamilie, durch die beiden Kempener Bürgermeister und den Pastor. Ein gemischtes Kuratorium aus fünf Stimmberechtigten. Da kam es gelegentlich zu Auseinandersetzungen.

Womit wurde das Ganze bezahlt? Dem Lebensunterhalt der Armen und dem Bau weiterer Gebäude des Armenhauses diente zunächst die Pacht aus dem Lengshof in Unterweiden, den Broichhausen 1390 gleichzeitig mit dem Gasthaus gestiftet hatte. Zu diesem Hof kamen im Laufe der Zeit durch Schenkungen frommer Spender oder durch gezielten Ankauf der Stiftungsverwalter zahlreiche andere Grundstücke, so dass die Stiftung schließlich über ein stattliches Vermögen verfügte - und über entsprechende Pachteinkünfte.

Nach dem Einmarsch der französischen Revolutionsarmee 1794 fielen die mittelalterlichen Strukturen. An die Stelle des bisherigen Kuratoriums aus Stifterfamilie, Bürgermeistern und Pastor trat eine Hospitalkommission. Die verlegte die Insassen des Hospitals, wie man das alte "Gasthaus" mittlerweile nannte, 1801 in den Annenhof an der Stadtmauer. Die Lage im Stadtzentrum sei seuchengefährdet, hieß es. Im Annenhof wurde dann 1845 das erste regelrechte Krankenhaus eingerichtet, nachdem die Stadt zur Krankenpflege Klemensschwestern aus ihrem Mutterhaus in Münster gewonnen hatte. Aufgenommen wurden traditionsgemäß nur arme Kranke, die zu Hause keine ordentliche Pflege erhalten konnten.

Die steigende Zahl der Patienten erforderte mehr Platz, und 1878 wechselte das "Hospital zum Heiligen Geist" in das Gebäude des ehemaligen Ursulinenklosters an der Mülhauser Straße. Das war 1868 errichtet und ein Jahr später von den Ursulinen bezogen worden, die "höheren Töchtern" in Kempen in einem Haus an der Engerstraße Schulunterricht erteilten. Jetzt stand das Ursulinenkloster leer, denn im Zuge des so genannten Kulturkampfes, in dem die preußisch-protestantische Regierung versuchte, den Einfluss der katholischen Kirche in Deutschland zurückzudrängen, hatten die Ordensschwestern Kempen verlassen müssen. Im neuen Gebäude standen schon 70 Betten zur Verfügung, die meisten für die Krankenpflege, aber einige von ihnen waren immer noch von Alters-Pensionären belegt. Im Herbst 1917 steigerte ein Erweiterungsbau die Bettenzahl auf 130, davon 20 für Alterspfleglinge, die hier immer noch als "Gäste" der Broichhausen-Stiftung lebten.

Die Zunahme der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg verlangte eine Erweiterung auf 270 Betten; am 6. März 1961 konnte der Neubau seiner Bestimmung übergeben werden. Mittlerweile war das Heilig-Geist-Hospital eines von vier Schwerpunktkrankenhäusern im Kreis Kempen-Krefeld geworden und musste seine Fachabteilungen vermehren. Nach Abbruch des alten Ursulinen-Klosterbaus inklusive Kapelle und der daneben gelegenen Heizzentrale wurden die neuen Räume am 13. Juli 1981 bezogen. 1996 und von 2000 bis 2003 folgten erneut Erweiterungen: Operationssäle, eine neue Intensivabteilung und eine Liegendkrankenanfahrt. Seit 1978 ist Kempen ein Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Düsseldorf, das heißt: hier durchlaufen Medizinstudenten die letzte Stufe ihrer Ausbildung mit der praktischen Arbeit.

Dann - die Krise. Rückläufige Erlöszahlen, Abwanderungen des Personals und eine drohende Insolvenz stürzten das Hospital zum Heiligen Geist 2010 in die bedrohlichste Phase seiner Geschichte. Am 19. Januar 2012 kam die Rettung aus Bayern. Der Investor Artemed aus Tutzing bei München übernahm das Krankenhaus an der Von-Broichhausen-Allee 1 - samt Gebäude, Grundstück und Schulden in Millionenhöhe. Und erweiterte erneut. Mit Erfolg: 2016 wurden mehr als 11.000 stationäre und über 30.000 ambulante Patienten behandelt.

An das alte Hospital erinnern heute noch die am Markt stehende Heilig-Geist-Kapelle aus dem 15. Jahrhundert und das daneben stehende Haus Weinforth, das durch sein steinernes Giebelkreuz als Sitz des Hospitalrektors ausgewiesen ist. Die Kapelle war bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts so verfallen, dass sie verkauft wurde. Von 1826 bis 1914 war sie ein Hotel, hieß "Kempener Hof" oder "Hotel Keuter", diente später als Schenke und dem Friseur Schumacher als Salon, dann, seit 1959, als Stadtbücherei. Nach einer Renovierung in 1961 wurde hier ein Versammlungs- und Ausstellungsraum der Volkshochschule untergebracht. Später nahm das mittelalterliche Gotteshaus wieder Ordensleute auf und schließlich, nachdem 1987 die Propsteipfarre die Kapelle von der Stadt erworben hatte, eine Buchhandlung für geistliches Schrifttum.

Seitdem die im März 2012 auszog, steht sie leer, die alte Heilig-Geist-Kapelle am Buttermarkt. An eine neue Nutzung ist derzeit nicht zu denken. Die wäre mit Umbauten verbunden; aber im angrenzenden Gebäude sind Flüchtlinge untergebracht. Das hat im Moment Vorrang.

In der nächsten Folge: Das Thomas-Denkmal wird eingeweiht.

(hk-)
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