Gemeinde Grefrath Verluste gehören zum Leben wie Erfolg

Gemeinde Grefrath · Buchhändler Karl Gross hat wieder den Gestalttherapeuten und Bestsellerautor Jorge Bucay nach Grefrath eingeladen. Er wird sein neuestes Werk "Das Buch der Trauer. Wege aus Schmerz und Verlust" vorstellen.

Natürlich ist die Lesung schon längst ausverkauft. Dabei hat Karl Gross den Abend mit Jorge Bucay schon von Anfang an nicht in seiner kleinen Buchhandlung vorgesehen, sondern in die größeren Räumlichkeiten vom Bestattungshaus Camps. Aber binnen kurzer Zeit waren die Karten weg. Jorge Bucay ist ein Bestsellerautor. Seit "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", das 2005 auf Deutsch erschien, hat er auch in Deutschland eine feste Fangemeinde. Der Titel dieses Buches illustriert sehr gut, was den Erfolg dieses Autors ausmacht. Er schreibt nicht einfach Bücher zur Lebenshilfe, sondern schmückt sie mit einer Vielzahl von Geschichten und Zitaten aus.

Gegenüber "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte" ist das neue "Buch der Trauer" - das bereits 2003 in Buenos Aires erschien - sparsam an neuen Geschichten. Aber natürlich streut er sie immer wieder ein. Es ist ein Erfolgsrezept, weil sie das nüchtern Gesagte so wunderbar poetisch erklären und unterstützen. Wie etwa das Zitat von Rabindranath Tagore: "Wenn du weinst, weil die Sonne untergeht, kannst du die Sterne nicht sehen." Es ist klar: "Das Buch der Trauer" handelt von Verlusten: Im Mittelpunkt steht der Tod eines geliebten Menschen, der Eltern, des Partners oder - in allen Kulturen am schrecklichsten - des eigenen Kindes. Aber selbst hier gibt Bucay die Erfahrung Betroffener hilfreich weiter: "Es gibt nur eine Sache, die ich mir noch schlimmer vorstelle als den Tod meines Sohnes. Noch viel schlimmer wäre es, wenn ich ihn nie gekannt hätte." Bucay fasst den Verlust sehr weit aus. Verlust ist eine allgemeinmenschliche Erfahrung, die nicht nur der Tod hervorruft, sondern auch das Scheitern einer Ehe oder Beziehung, selbst der Verlust des Arbeitsplatzes. Oder auch die Trauer über das Älter werden.

Das Beispiel der Mutter, die ihren Sohn verloren hat, zeigt, in welche Richtung Bucay uns drängen will, woher Hilfe naht. Verluste sind Teile des Lebens. Bucay nennt sie "notwendige Verluste, weil wir an ihnen wachsen." Der Trauernde darf trauern, wütend sein, einsam sein - nur nicht stehen bleiben. Bucay prägt das sehr schöne Bild einer Wunde, die heilt. Das Blut wie die Tränen reinigen die Verletzung, sie wird verschlossen, vielleicht bleibt eine kleine Narbe sichtbar. Bucay negiert die Trauer nicht, er lässt sie zu, allerdings verlangt er, den Schmerz anzunehmen, sich der Trauer zu stellen. Wer gerade mitten in der Trauerarbeit steckt, ist mit der Aussicht, dass auch nach den größten Verlusten das Leben wieder auf jeden wartet, nicht zu trösten. Es ist eben die Kunst der Trauerarbeit, den Anlass ernst zu nehmen, aber nicht darin zu verharren, sondern sich beherzt ins Leben zurück zu trauen.

Der heute 66-Jährige ist ein Geschichtenerzähler durch und durch. Der Argentinier aus Buenos Aires stammt aus einer Familie mit arabisch-jüdischen Wurzeln. Als Kind wuchs er in einem überwiegend christlichen Viertel Buenos Aires' auf. Dort studierte er Medizin und Psychoanalyse und wurde zu einem einflussreichen Gestalttherapeuten. Die Menschenkenntnis, die er in seiner langjährigen Praxis erwarb, und sein vielseitiger kultureller Hintergrund, bringt er mit Gewinn in seine Bücher ein. Ohne erhobenen Zeigefinger erklärt er dem Leser, dass alles, was wir verlieren, uns genauso ausmacht, wie das, was wir als Glück oder Erfolg erfahren haben.

Und so sehr der Autor sich altüberlieferter Geschichten bedient, so sehr warnt er uns, bei der Begegnung mit Trauernden in Floskeln zu verfallen. "Die Zeit heilt alle Wunden", "Er/Sie muss nicht länger leiden" oder auch "Es ist Gottes Willen" sind abgedroschene Sätze, die keine große Hilfe für den Trauernden bedeuten.

Wer das Glück hatte, eine Karte zu ergattern, braucht keine Taschentücher einzupacken. Auch wenn es um ein Buch über Trauer geht, werden die Lesung und das Gespräch mit dem argentinischen Autor sicherlich auch amüsant und witzig.

(RP)
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