Serie Stolpersteine In Kempen (8) Verhungert oder zu Tode gespritzt

Kempen · Mindestens sieben Behinderte aus Alt-Kempen und zwei aus St. Hubert wurden von den Nazis im Zuge der "Euthanasie" ermordet - als "unwertes Leben". Am Dienstag, 16. Dezember, entscheidet der Stadtrat über die Stolperstein-Initiative.

 Etwa 1060 Patienten wurden von 1941 bis 1944 aus der Heilanstalt Süchteln-Johannistal weggeschafft, um in anderen Kliniken letztlich getötet zu werden - darunter mindestens neun aus der heutigen Stadt Kempen.

Etwa 1060 Patienten wurden von 1941 bis 1944 aus der Heilanstalt Süchteln-Johannistal weggeschafft, um in anderen Kliniken letztlich getötet zu werden - darunter mindestens neun aus der heutigen Stadt Kempen.

Foto: Kreisarchiv

kempen In dieser Folge soll von Kempenern die Rede sein, die Opfer der so genannten Euthanasie wurden. Euthanasie, wörtlich: "Der schöne Tod", war ein beschönigender Ausdruck der Nazis für die Ermordung Kranker und Behinderter, die in ihre "erbgesunde" Volksgemeinschaft nicht passten. Denn der nationalsozialistischen Rasse-Ideologie galten sie als "unwertes Leben". Bilder der im Folgenden aufgeführten Opfer stehen vorerst nicht zur Verfügung.

Der Weg in den Tod für Behinderte aus Kempen begann für gewöhnlich, den Erbgesundheits-Gesetzen entsprechend, mit einer Anzeige des Hausarztes an das Kreis-Gesundheitsamt, seit Januar 1937 an der Von-Loë-Straße. Die Leiter des Gesundheitsamtes veranlassten dann die Unterbringung in einer Anstalt. Das war in der Regel Süchteln-Johannistal. Insgesamt sollen, einschließlich der Toten der angegliederten Kinderfachabteilung Waldniel, 1163 Süchtelner Patienten in Tötungskliniken umgebracht worden sein.

Untergebracht in Süchteln war Martin Giebels, am 27. September 1894 in Kempen-Schmalbroich geboren. Im Ersten Weltkrieg Soldat, hatte ein Granatsplitter ihn in den Kopf getroffen. Wenn der Splitter in seinem Gehirn sich in Bewegung setzte, überkam ihn ein Anfall, und er irrte orientierungslos durch Kempen, stellte aber für niemanden eine Gefahr dar. Giebels wohnte zunächst mit seiner Frau Henriette und seiner Tochter Bertha im Hause seines Bruders, des Postbeamten Wilhelm Giebels, an der Franziskanerstraße 4. Seine Familie kam, nachdem sie in der Nacht vom 22. Juni 1943 ausgebombt worden war, am Markt 18 unter, gegenüber vom heutigen Kinogebäude.

Da war Martin Giebels aber schon abgeholt worden. Längere Zeit verbrachte er in der Heilanstalt Süchteln und wurde schließlich in die Heilanstalt Weilmünster im Oberlahnkreis in Hessen-Nassau gebracht. Hier bekam der stattliche, etwa 1,90 Meter große Mann nicht genug zu essen. Die Familie schickte ihm Lebensmittelpakete - sie erreichten ihn nicht. Einmal besuchte sein Bruder ihn und brachte ihm Verpflegung mit. Martin Giebels ist wohl verhungert. Sein Totenzettel nennt als Sterbedatum den 14. Februar 1944. Auf Wunsch seines Bruders wurde die Leiche nach Kempen zurückgebracht - in einem Zinksarg - und auf dem neuen Friedhof beigesetzt, von wo sie 1960 auf den alten Friedhof überführt wurde. Dort liegt er heute noch mit seiner Frau Henriette in einem Grab.

Ein anderes Opfer der Euthanasie war Theodor Wehlings, geboren am 14. Februar 1913 in Kempen. Er lebte bei seinem Bruder, dem Bauern Heinrich Wehlings, Vorster Straße 70. Am 10. Juli 1944 wurde er von Süchteln-Johannistal in die Landesheil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde verlegt. Die lag in einer Kreisstadt der damaligen Mark Brandenburg, 60 Kilometer östlich von Frankfurt/Oder und diente schon seit 1939 als Ermordungsanstalt. Die Gesamtzahl der Opfer wird von der Forschung fünfstellig beziffert; die letzte eingetragene Sterbenummer lautet 18.232. Die bevorzugte Tötungsart durch das Personal bestand in der Anwendung von Giftspritzen.

Sieben Opfer der Euthanasie sind aus Kempen sicher überliefert: Neben dem in der ersten Folge dieser Serie behandelten Josef Voss, neben Martin Giebels und Theodor Wehlings tauchen in den Akten die Namen von Johanna Duda, Lambert Köhler, Gertrud (Traudchen) Mermet und Hermann Josef Sturm auf. Wenn die in Kempen gebürtige Adele Wehres zum Zeitpunkt ihrer Klinik-Einlieferung noch in der Thomasstadt gewohnt hat, wären es acht Opfer. Aus St. Hubert starben Rudolf Baumanns und Wilhelm Jongen.

(RP)
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