Schiedsfrau Schlichterin mit Herz und Verstand

Kempen · Seit 20 Jahren übt Hedwig Friedl das Amt der Schiedsfrau in Kempen aus. Wenn andere sich streiten, versucht sie eine Lösung für das Problem zu finden. In den meisten Fällen gelingt ihr das auch.

     Der klassische Fall: Nicht nach jedem Streit am Gartenzaun geht es vor Gericht. Beleidigungen und üble Nachrede werden oft bei einer Schiedsperson oder einem Schlichter verhandelt.

Der klassische Fall: Nicht nach jedem Streit am Gartenzaun geht es vor Gericht. Beleidigungen und üble Nachrede werden oft bei einer Schiedsperson oder einem Schlichter verhandelt.

Foto: gms/Signal Iduna

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, so heißt es in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“. Ein Ausspruch, den Hedwig Friedl bestätigen kann. Die Kempenerin ist seit 20 Jahren ehrenamtlich als Schiedsfrau für die Stadt Kempen tätig und hat in dieser ganzen Zeit mit den Bürgern so einiges erlebt.

„Als ich mit der Arbeit als Schiedsfrau angefangen habe, gehörten neben Nachbarschaftsstreitereien auch noch üble Nachrede und Beleidigung zu den Delikten. Das änderte sich aber. Seit gut zehn Jahren sind es nur noch Nachbarschaftsstreitigkeiten, die mich beschäftigen“, berichtet Hedwig Friedl, die seit diesem Jahr als Vertreterin des amtierenden Schiedsmannes arbeitet.

 Hedwig Friedl ist als Schiedsfrau in Kempen tätig.

Hedwig Friedl ist als Schiedsfrau in Kempen tätig.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Die Palette der Streitereien reicht vom Laub, das in Nachbars Garten fällt, über den Ast, der über den Zaun herüber wächst, oder die zu hoch gewachsene Hecke bis hin zum störenden Grillen im Sommer. „Oft sind diese Dinge aber nur der Auslöser. Da schwelt im Vorfeld schon etwas. Es ist mir häufig gelungen, den richtigen Punkt zu erwischen und einen Vergleich zu erzielen. Wenn es eine Lösung gibt, freut mich das immer“, sagt Hedwig Friedl.

Sie hat am Unterton der Gespräche oftmals schon herausgehört, dass die Ursache eines Streits ganz woanders lag. Da war der Nachbar zum Beispiel beleidigt, weil er nicht zum Grillen eingeladen worden war, und nutzte eine bislang nicht störende bestehende Begebenheit, um den anderen vor die Schiedsperson zu zerren.

„Natürlich gibt es auch Menschen, die brauchen einfach Streit zum Glücklichsein. Es ist ihr Lebenselixier, weil sie sonst nichts haben“, weiß die Kempenerin aus Erfahrung. Da ist dann in der Regel auch nichts zu machen. Solche Menschen wollen prozessieren.

Dass sie einmal Schiedsfrau werden würde, das hätte Hedwig Friedl nicht gedacht. Und sie wäre es wahrscheinlich auch nie geworden, wenn „eine Freundin aus dem Stadtrat mich nicht gefragt hätte, ob ich Interesse hätte, Schiedsfrau zu werden“, erinnert sich Hedwig Friedl. Den Ausschlag für die eingereichte Bewerbung bei der Stadtverwaltung war aber die Tatsache, dass die Kempenerin selbst schon schlechte Erfahrungen mit der deutschen Rechtsprechung in Sachen einer Nachbarschaftsstreitigkeit gemacht hatte.

„Ich wollte anderen Leuten das ersparen und einfach mit dem normalen Menschenverstand Streitigkeiten lösen, bevor sie sich immer weiter hochschaukeln und es zum Prozess kommt“, sagt die 67-Jährige. Wenn sie auf ihre 20-jährige Tätigkeit als Schiedsfrau zurückblickt, dann trifft das auf rund 70 Prozent ihrer Fälle zu. Denn oft konnte sie schlichten, einen Streit beilegen und musste keine Erfolglosigkeitsbestätigung ausfüllen. Das geschieht nämlich nur, wenn keine Einigung erzielt werden konnte.

Ein Amtszimmer nutzt Hedwig Friedl für ihre ehrenamtliche Tätigkeit übrigens nie. Bei ihr finden die Gespräche allesamt im heimischen Esszimmer statt. In einer entspannten Atmosphäre, wobei Schiedsfrau Hedwig Friedl immer von Anfang an klar macht, dass es an ihrem Tisch ruhig zugeht. Sie selbst kommt immer mit Ruhe und Gelassenheit herüber. „Ich war Lehrerein, daher bringt mich so schnell nichts aus der Ruhe“, meint Hedwig Friedl lächelnd. Zudem sei sie ein Mensch, der mit offenen Karten spielt und konsequent vorgeht, ergänzt sie.

Die meisten Gespräche in ihrem „Arbeitszimmer“ gehen über eine gute Stunde. Wenn sie länger dauern, dann bringt das in ihren Augen auch nichts. Wenn gesagt ist, was die Parteien stört, sollte eine Lösung gefunden werden. Waren es in den Anfangsjahren noch mehr als zehn Fälle pro Jahr, so ist die Zahl der Streitschlichtungen zurückgegangen. Sieben bis acht Mal muss sie jetzt im Schnitt und Jahr tätig werden. Im vergangenen Jahr waren es sogar nur zwei Fälle. Dabei kommt es aber immer öfter vor, dass die streitenden Parteien direkt einen Rechtsanwalt mitbringen. Etwas, das für die Schiedsfrau unverständlich ist, denn es geht ja gerade darum, ohne Rechtsanwalt und ein sich möglicherweise anschließendes Gerichtsverfahren auszukommen.

Anekdötchen hat sie als Schiedsfrau viele erlebt, aber es gilt die Verschwiegenheitspflicht. Hedwig Friedl ist nicht nur Schiedsfrau, sondern auch seit zehn Jahren Schöffin. Ihre persönliche Devise lautet dabei immer: leben und leben lassen. Wer sich daran hält, lebt stressfreier.

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