Stadt Kempen Ohrenärzte sehen Praxen in Gefahr

Stadt Kempen · Seit Monaten klagen die Hausärzte über zu geringe Honorare. Doch auch viele Fachärzte sind unzufrieden.

Fünf Fakten über das Riechen
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Foto: dpa, Andrea Warnecke

Mit weniger als 2000 Euro im Monat gingen viele seiner Kollegen nach Hause. Darüber klagt nicht etwa eine ungelernte Hilfskraft oder ein Angestellter in Teilzeit — sondern ein Arzt, der eine zehnjährige Ausbildung hinter sich hat. "Man darf sich nicht von so manchem Mercedes, der vor der Tür steht, täuschen lassen", sagt der Ohrenarzt Johannes Beniers. Die Oberklasse-Wagen stammten meist aus besseren Zeiten oder seien vom Ehe-Partner bezahlt worden. Vor seiner eigenen Praxis in Nettetal parkt ein zehn Jahre alter Volvo.

Beniers ist der Vorsitzende der Hals-Nasen-Ohrenärzte im Kreis Viersen. Die Situation seiner Zunft innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein besorgt ihn — zu dieser KV gehört der Kreis. "Wir alle überleben wahrscheinlich nur, weil die Frau mitverdient", sagt er. Er geht davon aus, dass demnächst Praxen schließen werden.

Für einen Kassenpatienten erhält ein HNO-Arzt am Niederrhein 23,75 Euro im Quartal, acht Euro im Monat. Davon bezahlt er die Miete für seine Praxis und ihre Ausstattung, die Gehälter der Mitarbeiter, Versicherungen, Neuanschaffungen. Von geringen Honoraren sind neben Ohren- auch andere Fachärzte betroffen, erklärt Karin Hamacher von der KV. Haut- und Augenärzte müssen mit knapp vier Euro pro Monat auskommen. Diese Sätze werden unabhängig davon bezahlt, wie häufig ein Patient seinen Arzt aufsucht und wie er behandelt wird.

Dass sich unter diesen Bedingungen nur wenig Ärzte in Viersen niederlassen, wundert nicht. Einige Fachärzte vergeben Termine erst wieder in einigen Monaten. Andere nehmen gar keine neuen Patienten an.

Zusätzliche Kassen-Patienten lohnen sich für die Ärzte nicht, erklärt Beniers: Wie viele gesetzlich Versicherte eine Praxis aufnehmen darf, weist ihr die KV zu. Diese Zahl hängt davon ab, wie viele Patienten vergleichbare Ärzte derzeit behandeln und wie viele Patienten derselbe Arzt im Vorjahr behandelt hat. Für zusätzliche Kassenpatienten erhält ein Ohrenarzt nur noch einen Teil seiner 23,75 Euro pro Quartal. "Das ist, als würden Sie einem Bäcker sagen: Du kannst so viele Brötchen verkaufen, wie Du willst, bekommst aber nur 1000 Stück bezahlt", sagt Beniers.

Entsprechend groß sei die Versuchung, lieber Privatpatienten anzunehmen — die privaten Kassen zahlen für jeden Patienten Geld und auch für jede Behandlung. So verdient der Arzt an ihnen im Schnitt etwa doppelt so viel. "Die Zwei-Klassen-Medizin ist längst hier angekommen", sagt Beniers.

Den Grund für die finanzielle Misere der Fachärzte sehen Beniers und Hamacher in der Verteilung der Gelder auf Bundesebene: Wie viel Geld eine Kassenärztliche Vereinigung an die Ärzte in ihrem Gebiet zahlen kann, hängt davon ab, wie viel die Krankenkassen zur Verfügung stellen. Einzelne Kassenärztliche Vereinigungen erhalten dabei mehr als andere. Das soll Ärzte dazu bringen, in diesen Gebieten Praxen zu veröffnen — etwa in Ostdeutschland, wo schon jetzt ein Ärztemangel besteht. Beniers wirft der KV Nordrhein vor, sie habe sich nicht genügend für ihre Ärzte eingesetzt.

Seine Praxis hat der Mediziner schon vor 20 Jahren eröffnet. Er behandelt derzeit etwas mehr als 1100 Patienten. Hinter jedem Patienten stehe eine Geschichte, sagt er. Er erinnert sich zum Beispiel an einen jungen Mann, der mit Kopfschmerzen und Ohrgeräuschen zu ihm kam. Im Gespräch stellte sich heraus, dass seine Freundin den Patienten vor Kurzem verlassen hatte. Der Kopf tat dem Armen weh, weil er so traurig war. "Man kommt sich manchmal vor wie ein Pastor im Beichtstuhl", sagt Beniers. Gerade dieser Kontakt zu den Patienten mache ihm Spaß. Er würde seinen Beruf wieder ergreifen. Eine Praxis würde er aber nicht eröffnen, sondern lieber als Angestellter im Krankenhaus arbeiten.

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(RP)
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