Stadt Kempen "Manchmal schicke ich Papa eine SMS"

Stadt Kempen · Sarah und Vanessa aus Kempen haben vor einem halben Jahr ihren Vater verloren. Gespräche mit Freunden helfen ihnen, wenn sie traurig sind. Bei einem Kennenlerntag wollen sie nun Kontakte zu trauernden Jugendlichen knüpfen.

 Vanessa (links) und Sarah geben einander Halt. Oft sind die Mädchen traurig, weil ihnen der Vater so fehlt. Aber sie können auch miteinander lachen oder mal streiten - wie andere Geschwister eben auch.

Vanessa (links) und Sarah geben einander Halt. Oft sind die Mädchen traurig, weil ihnen der Vater so fehlt. Aber sie können auch miteinander lachen oder mal streiten - wie andere Geschwister eben auch.

Foto: W. Kaiser

Wenn Vanessa traurig ist, dreht sie in ihrem Zimmer die Musik voll auf. Und dann weint die 14-Jährige. Sie vermisst ihren Vater, der vor einem halben Jahr plötzlich starb. In ihrem Zimmer hängen Bilder von ihm, und manchmal schreibt sie ihm eine SMS: "Ich habe noch seine alte Handynummer. Ich schreibe ihm, obwohl ich weiß, dass er die SMS nicht mehr lesen kann."

Der Vater starb drei Wochen vor seinem 47. Geburtstag. Er hatte Fußball gespielt, sich dabei einen Muskelbündelriss zugezogen. Damit keine Thrombose entsteht, bekam er Spritzen. Trotzdem entwickelte sich nach anderthalb Wochen eine Thrombose, die zu einer Lungenembolie führte. Die Familie war zu Hause, als es passierte. "Er sah ganz komisch aus und sagte, dass ihm schlecht sei", erinnert sich Vanessas Schwester Sarah. Also lief die 17-Jährige los, um einen Eimer zu holen. Als sie zurückkam, war der Vater schon bewusstlos. Sarah rief sofort den Rettungsdienst. Doch die Einsatzkräfte konnten dem Vater nicht mehr helfen. Er starb.

Das war kurz vor Ostern. Ein halbes Jahr später haben die Schwestern aus Kempen gelernt, ohne den Vater zurechtzukommen. Sie passen mehr aufeinander auf - auch auf Mutter Silke, die nun mit vier Kindern allein ist. "Die Sorge um den anderen ist größer geworden", hat die 45-Jährige festgestellt. Den Kindern fehlt der Vater überall. Das wird den Schülerinnen dann besonders deutlich, wenn es um die Familie geht, wenn Dinge anstehen, die man eigentlich zusammen macht: Feste besuchen, in den Urlaub fahren. Und es sind die vielen kleinen Momente, in denen sie spüren, dass er fehlt. "Wenn wir mit Papa einkaufen gingen, kaufte er uns immer eine Brezel. Bei Mama gab es das nie. Sie hat immer gesagt: ,Aber wir essen doch in einer halben Stunde'", erzählt Vanessa.

Die Beerdigung plante die Familie gemeinsam. Im Leben war der Vater voller Zuversicht gewesen, einer, der anderen immer sagte, dass es weitergehen müsse. So sollte es zum Abschied auch keine Lieder geben, die vom Tod erzählen, sondern Lieder, die ihm im Leben viel bedeutet hatten. "Also gab es ,Die Seele brennt', das Fan-Lied von Borussia Mönchengladbach, ,Abenteuerland' von Pur und ,Vergiss es nie', eigentlich ein Tauf- und Konfirmationslied", berichten die Schwestern.

Den Schmerz in den ersten Tagen bekämpfte die 17-jährige Sarah mit Arbeit: "Ich habe mich abgelenkt. Ich stand nur in der Küche. Ich habe gekocht und Brot gebacken, sehr viel Brot. Ich glaube, wir hatten danach Brot für zwei Wochen." Sie rief Freundinnen an, erzählte ihnen, was passiert war. Das Gespräch mit Freundinnen hilft ihr auch heute noch, wenn die Trauer kommt und sie mit jemanden sprechen muss. "Für mich ist es besser, mit Freunden darüber zu reden als mit Fremden", hat Sarah festgestellt. "Wir gehen dann vielleicht ein Eis essen, reden zwei Stunden lang." Sarah braucht das ruhige Gespräch. Vanessa braucht die Musik, die sie dann "ganz, ganz laut" aufdreht.

In einer großen Voliere im Garten lärmen die Papageien, die der Vater so liebte. Um die Tiere kümmert sich jetzt Sarah. Kürzlich fielen Äste herunter, die die Vögel zum Klettern nutzen - bei dieser Arbeit hätte Sarah gern den Vater an ihrer Seite gehabt. Überhaupt hat sie als Älteste nun einige Aufgaben übernommen, die vorher der Vater erledigte. "Der Pool muss jetzt winterfest gemacht werden", sagt die 17-Jährige mit einem Blick in den Garten, als würde sie sich seit Jahren darum kümmern. "Ich mache einiges mehr als vorher", erklärt Sarah, "und es ist auch so, dass ich als Älteste mehr Verantwortung übernommen habe. Aber ich sehe das nicht als Belastung."

Manchmal fühlen sich die Schwestern so, als ob sie jemand aus ihrem alten Leben bugsiert hätte - so plötzlich durch den Tod. Hätte der Vater eine schwere Erkrankung gehabt, hätten sie sich von ihm verabschieden können - "aber das hätte ich noch schlimmer gefunden, glaube ich", meint Sarah, "zu wissen, dass Papa sterben wird". Das, was sie ihm sagen will, sagt sie trotzdem: "Ich kann ihm auch weiterhin alles sagen. Nur anders."

(RP)
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