Kempen Knoebel, der Extrempurist

Kann man eine Idee, die man vor einem halben Jahrhundert ausgearbeitet hat, neu denken? Imi Knoebel wollte das wissen. "Alles hat seinen Anfang" sagt er. "Ich wollte herausfinden, wo meine Anfangspunkte sind." Und so hat er die wichtigen Etappen seines Werks noch einmal neu formuliert. Direkt im Anschluss an die vielbeachtete Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt der Düsseldorfer im Haus Esters "Kernstücke". Es ist das Konzentrat seines Lebenswerk - ein Minimalismus des Minimalistischen.

Die 21 Werke, die für die Ausstellung entstanden sind, versteht Knoebel als zusammenhängenden Komplex: Bilder, Skulpturen und Environments, die auf frühere richtungsweisende Arbeiten zurückgehen. Herzstück ist der berühmte Raum 19 - benannt nach dem Unterrichtsraum der Beuys-Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie. "Hinter jeder hier gezeigten Arbeit stehen etliche andere", sagt Museumsdirektor Martin Hentschel. Knoebel und Reed waren seine Wunschkünstler für seine letzte Wechselausstellung. Wie bei Reed steht jedes Detail für einen ganzen Kosmos. Doch Knoebel, den Hentschel zu den "wichtigsten europäischen Künstlern, die sich um eine Weiterentwicklung gegenstandsloser Kunst verdient gemacht haben", zählt, lässt sich leichter lesen.

Sein Lehrer Joseph Beuys hat den jungen Imi Knoebel in den 1960ern geprägt. Die Strukturierung einer weißen Fläche mit unterschiedlichen Senkrechten und Waagerechten war ein großes Thema. Knoebel hat es eingekocht auf die Essenz - jetzt ist nur noch eine Linie übrig. Zwei Linien ergeben einen Winkel, der auf Knoebels bekannte "Winkel"-Arbeiten verweist. Ein schräg an der Wand hängender Winkel steht für alle Bilder, bei denen der Künstler sich schräg im Raum bewegt hat.

Eine Museumswand ist komplett mit Hartfaserplatten verkleidet. Ein "schäbiges Material", so Knoebel, wird hier zu einem Hingucker, zu etwas, das sich in den Blick drängt und betrachtet werden will wie ein Bild. "Vision Ordinaire" bezeichnet den Einsatz von ordinärem, alltäglichem Material, das die Vision eines Bildes erzeugt. Gleich daneben ist das Bild reduziert auf ein Licht-Rechteck. "Damit bezieht sich Knoebel auf die Dias, die er übermalt und dann projiziert hat", erklärt Hentschel. Ein Stück weiter ist selbst das Licht gewichen, und nur ein weißer Fleck auf der weißen Museumswand gibt vor, Bild zu sein.

Die Farbe, die für Knoebel seit dem Tod seines Malerfreundes Blinki Palermo, 1977, eine wesentliche Rolle gespielt hat, ist hier auf ein grünes Papier, ein bisschen Blau und ein extremes Rot beschränkt - und auf das in einem unbenennbaren Grau-Braun gemalte "Alle Farben". Das Bild hängt in der Eingangshalle gegenüber einer Raumkonstellation aus fünf Arbeiten: Schrank, Keilrahmen, Sternenhimmel, Bodenplatte und Skulptur - auch dies Fingerzeige auf Knoebels persönliche Kunstgeschichte. Wer sich in diesem Kosmos nicht auskennt, sollte eine Führung besuchen. Dann wird er unter anderem erfahren, dass Knoebel für den Sternenhimmel 54 Fotos aus einem Astro-Atlas gemacht und einen Stern hinzugefügt hat. Welchen? Das lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Hentschel: "Der Künstler als alter deus, als Schöpfergott, was er selbst sogleich negiert: Das zeigt auch den Humor des Künstlers." Diese Schau sei die persönlichste Ausstellung Knoebels.

(RP)
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