Kempen Kempen wurde 80 Jahre früher als Krefeld zur Stadt erhoben

Kempen · Und die Nachbarschaft? Als Kempen Stadt wurde, gab es in der Region nur zwei weitere Städte: Uerdingen und Linn. Alle drei Orte hatten ihre Entstehung guten Straßenverbindungen zu verdanken. Ausgangspunkt zur Besiedlung des Kempener Stadtgebiets war, dass sich hier zwei Straßen trafen: Die eine kam von der alten Römerstadt Neuss und führte über den heutigen Kirchplatz nach Wachtendonk und weiter zur Kaiserpfalz Nimwegen.

 Die Kleiderfarben Rot und Blau der Pfarrpatronin gingen in das Kempener Stadtwappen ein.

Die Kleiderfarben Rot und Blau der Pfarrpatronin gingen in das Kempener Stadtwappen ein.

Foto: Hans Kaiser

Von dieser Fernverkehrsstraße ging an der heutigen Ecke Ellenstraße/Peterstraße ein Weg zur Niers und nach Oedt ab. An dieser Einmündung kamen mehr Menschen als woanders zusammen. Sie tauschten Waren, und wenn sich das lohnte, bauten manche sich an dem bescheidenen Verkehrsknotenpunkt ein Haus, um ein Handwerk zu betreiben oder Land zu bebauen. Ähnlich verdankte Uerdingen, 1255 zur Stadt erhoben, seine Besiedlung einer alten Römerstraße, die am Rhein entlang führte. Linn, erstmals 1314 als Stadt bezeichnet, knüpfte an eine Straße Gellep-Krefeld-Kempen an, auf die in Linn eine von Fischeln und Oppum kommende Straße stieß.

Dagegen war Krefeld, als Kempen sich zur Stadt entwickelte, ein eher abgelegenes Dorf. Ausgangspunkt zur Stadt war ein Häuserkranz um den Schwanenmarkt, wo am Platz der heutigen Alten Kirche das erste Gotteshaus stand. Erst am 1. Oktober 1373 wurde der Ort zur Stadt erhoben, damit er sich gegen bewaffnete Banden, die von der unter klevischer Herrschaft stehenden Burg Linn aus die Gegend verheerten, eine Befestigung zulegen konnte. In ihrer längsten Ausdehnung, von Süden nach Norden, maß das damalige Krefeld gerade 300 Schritt. Ein winziges Städtchen, auch im Vergleich mit den Nachbarorten Linn und Uerdingen. Deren großzügig bemessene mittelalterliche Marktplätze lassen den Schwanenmarkt eng erscheinen. Kurz: Im Städtedreieck Uerdingen, Kempen und Linn hatte die neue Stadt Krefeld zunächst schlechte Karten. Das zeigt am deutlichsten der Vergleich mit Kempen.

Dort werden bereits in der Urkunde von 1294 zwei Kempener Bürgermeister genannt, in Krefeld erscheint ein Bürgermeister erst 1463. 1322 wählt Kempen seinen ersten Stadtrat, aber in Krefeld ist die Einwohnerschaft noch so gering, dass sie noch lange ohne eine förmliche Bürgervertretung neben dem Bürgermeister auskommt; erst 1530 wird dort ein Rat genannt, der aber nur zu bestimmten Anlässen einberufen wird. Im wohlhabenden Kempen können viele Bürger lesen und schreiben und verfolgen mithilfe von Flugblättern die Entwicklung außerhalb ihres Ortes, zum Beispiel die Auseinandersetzungen um Martin Luther; bereits um 1525 gibt es dort Evangelische. Im benachbarten Krefeld sind erste reformatorische Anliegen erst 1542 festzustellen. Kempen hingegen wird zu einem Zentrum der Reformation am Niederrhein. Bald bildet sich eine organisierte reformierte Gemeinde. Sie wird von der kurkölnischen Regierung nur widerwillig geduldet, dominiert aber die Stadt. Bis 1612 der energische Ferdinand von Bayern zum Kölner Erzbischof gewählt wird. Der asketische Mann lässt jeden, der auf seinem evangelischen Glauben beharrt, der Stadt verweisen. Darunter zahlreiche geschäftstüchtige Kaufleute und geschickte Handwerker. Die Ansiedlung eines Franziskanerklosters (heute: Kulturforum) in 1630 unterstützt die Gegenreformation. Eine Jahrhunderte alte Wirtschaftsblüte brach ein. Kempen, einst Zentrum zwischen Rhein und Niers, blieb Ackerstädtchen lange ins 19. Jahrhundert hinein und wurde von Krefeld weit überflügelt.

Denn die Nachbarstadt ist mittlerweile zum Zufluchtsort von Glaubensflüchtlingen geworden. 1594 kam sie an die evangelischen Oranier. Auf deren Betreiben wurde sie in den damaligen, ganz Deutschland verheerenden Kämpfen zwischen der evangelischen und der katholischen Partei für neutral erklärt. Einer der tüchtigen Handwerker, die vor religiöser Verfolgung in Krefeld Zuflucht suchen, war 1656 der aus Radevormwald ausgewiesene Mennonit Adolf von der Leyen. Seine Söhne begründeten die örtliche Seidenweberei.

Das brachte Krefeld eine stürmische ökonomische Entwicklung, es wurde zur „Seidenstadt“. Kempen hingegen hatte sich zu einer stockkonservativen, erzkatholischen Stadt entwickelt. Es dämmerte in einem Dornröschenschlaf, aus dem es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufwachte.

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