Stadt Kempen Inklusion: Schulen fürchten Lehrermangel

Stadt Kempen · Schüler mit und ohne Behinderung sollen stärker gemeinsam lernen. Der Bedarf an Sonderpädagogen soll deshalb in Zukunft steigen. Bereits jetzt gibt es in NRW zu wenige von ihnen. Die Schulen fühlen sich allein gelassen.

Die Inklusion behinderter Kinder und Jugendlicher an den Schulen soll einklagbares Recht werden — nach derzeitigem Referentenentwurf ab August kommenden Jahres. Laut Prognosen des Schulministeriums NRW wird der Bedarf an Sonderpädagogen künftig beinahe doppelt so hoch sein, wie die Zahl der ausgebildeten Lehrkräfte. Insbesondere Sonderpädagogen für die Förderschwerpunkte "emotionale und soziale Entwicklung" sowie "Lernen" seien gefragt. Im Kreis Viersen liegt der Bedarf nach Angaben der Schulaufsicht bei rund 225 Stellen — knapp 240 Lehrkräfte gibt es derzeit.

"Das heißt aber noch lange nicht, dass alle, die in der Statistik auftauchen auch tatsächlich voll an den Schulen arbeiten", sagt Martin König vom Schulamt des Kreises Viersen. Pro Schule fehlten etwa ein bis zwei Lehrkräfte. Die Stellenbesetzung liege bei etwa 95 Prozent. Damit stehe der Kreis deutlich schlechter da als städtische Regionen wie Köln und Düsseldorf.

Plan des Ministeriums ist es, bis spätestens 2020 eine gemeinsame Schule für alle zu haben. Förderschulen soll es dann auch im Kreis Viersen wahrscheinlich nur noch für mehrfach Schwerstbehinderte geben. Fünf Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen gibt es kreisweit. Für sie sieht der Gesetzesentwurf künftig eine Mindestschüleranzahl von 144 vor, die die Schulen zudem für die kommenden fünf Jahre garantieren müssen. Das Resultat sei ein "Schließungsautomatismus, heißt es in einer Stellungnahme des NRW-Städtetages, der den Entwurf derzeit diskutiert.

Zudem sollen gemäß dem Referentenentwurf künftig nicht mehr die Schulen sondern die Eltern darüber entscheiden, obein Kind Förderbedarf hat. Und nur sie dürfen auch den entsprechenden Antrag beim Schulamt stellen. "Bisher haben aber nur fünf Prozent der Schüler durch Initiative ihrer Eltern Förderung bekommen. Ohne Antrag der Eltern gibt es künftig keine Ressourcen", sagt Schabrich.

Das sieht auch Andreas Schönfeld, Konrektor der Willicher Pestalozzischule, kritisch. "Es gibt immer eine Gruppe von Eltern, die nur schwer davon zu überzeugen sind, dass ihr Kind Förderbedarf hat." Doch die Wahlfreiheit der Eltern sieht Schönfeld in Gefahr. Sechs Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen gibt es kreisweit. Die Willicher Pestalozzischule soll mit der Kempener Johannes-Hubertus-Schule fusionieren, da die Mindestschüleranzahl von 144 sonst nicht erreicht werden kann.

"Nicht alle Eltern halten Förderschulen für ein Stigma. Ihnen bleibt aber durch voreilige Schulschließungen bald keine Wahl mehr", sagt Schönfeld. "Nach Plan der Landesregierung werden viele Förderschulen sowie Haupt- und Realschulen bald Geschichte sein. Das spart zwar Geld, ich halte es aber für voreilig und wenig durchdacht", urteilt Ingo Schabrich. Inklusion findet in vielen Schulen bereits statt. An der Grefrather Verbundschule nehmen fünf Kinder am gemeinsamen Unterricht teil.

Jedem von ihnen muss laut Gesetz für 3,5 Stunden pro Woche ein Sonderpädagoge zur Verfügung stehen. Drei solche Lehrkräfte teilt sich die Schule deshalb mit anderen im Kreis. Die Fluktuation sei hoch, sagt Schulleiterin Wilhelmine Roehrig. "Eine Schüler-Lehrer-Bindung, wie sie für Schüler mit Förderbedarf besonders wichtig ist, kann so gar nicht erst entstehen", kritisiert sie. Der Mangel an Lehrkräften müsse aber gleich auf alle verteilt werden.

(RP/rl)
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