Stadt Kempen Große Schauspielkunst am Lesepult

Stadt Kempen · Theater- und Fernsehdarstellerin Anna Schudt war zu Gast in Kempen. Im "Bülles Küchenstudio" las die "Tatort-Kommissarin" aus der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante. Gut 50 Besucher kamen in den literarischen Salon.

 Schauspielerin Anna Schudt las in "Bülles Küchenstudio", das dafür zum literarischen Salon umgewandelt worden war, aus den neapolitanischen Familiengeschichten von Elena Ferrante.

Schauspielerin Anna Schudt las in "Bülles Küchenstudio", das dafür zum literarischen Salon umgewandelt worden war, aus den neapolitanischen Familiengeschichten von Elena Ferrante.

Foto: NORBERT PRÜMEN

Der Text ist nicht leicht, schon wegen der vielen italienischen Namen und Titel, aber die 55 Zuhörerinnen und Zuhörer lauschen gebannt. Vor ihnen sitzt, hinter einem schnörkellosen Pult, Anna Schudt auf einem Barhocker. Die ausgebildete Theaterschauspielerin hat sich verschiedene Passagen aus der Saga von Elena Ferrante ausgesucht. Mit einem Auszug aus dem ersten Teil, "Meine geniale Freundin", führt Schudt in die Erzählung ein.

Die Gäste der Lesung merken gleich, dass Schudt sich gut vorbereitet hat. So liest sie nicht aus den Büchern, sondern hat sich die Passagen ausgedruckt und mit Anmerkungen versehen. Immer mehr zieht die 44-Jährige ihre Zuhörer in die Geschichte. Mit minimaler Gestik und maximaler Mimik trägt sie den Text pointiert und zügig vor. Die Handlung spiegelt sich dabei in ihrem Gesicht: Die Augen hinter der großen, runden Goldrandbrille werden mal weit aufgerissen, mal grimmig zusammen gekniffen, wobei sich die ganze Stirn in Falten legt.

Als Schudt in den dritten Teil springt, "Die Geschichte der getrennten Wege", ist ihre Tonlage eine andere. Aus den kindlichen Freundinnen sind junge Frauen geworden. Während Elena eine elegante junge Dame ist, die ihr Studium beendet und ihren ersten Roman veröffentlicht hat, arbeitet Lila in einer Fabrik unter unwürdigen Bedingungen. Schudt gibt ihre eine raue Stimme mit bitterem Unterton. Es ist große Lesekunst, die die Schauspielerin im Küchenstudio Bülles bietet.

Damit ist der literarische Salon in der Gegenwart angekommen. Während in der Biedermeierzeit, der Hochzeit der Salons, Plüsch und Samt die Zuhörer umgaben, sitzen die Gäste heute zwischen Hochglanzküchenfronten und Edelstahlschränken. Der Kunst und dem Grundgedanken steht das nicht im Weg. Mit dem "Salonfestival" hat sich 2014 in Köln eine Initiative gegründet, die eine kulturelle Tradition aus dem Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts wiederbelebt hat. Wie das historische Vorbild auch, will das moderne Salonfestival wieder ein gesellschaftlicher Treffpunkt für Diskussionen, Lesungen und musikalische Veranstaltungen sein.

Die Idee sei, dass Menschen andere Menschen zu sich nach Hause einladen, um gemeinsam Kultur zu erleben, sagt Corinna Siebrecht vom Team Düsseldorf. Finanziert wird der Salon über das Eintrittsgeld. Wenn die Lesung in Kempen auch keinen privaten Rahmen hat, so hat Anna Schudt doch Recht, wenn sie sagt: "Wir sitzen alle gemeinsam in der Küche und ich lese Ihnen etwas vor." Weit anreisen musste die Schauspielerin, die bereits mit 20 Jahren zum Ensemble der Münchner Kammerspiele gehörte und seit 2006 auch im Fernsehen zu sehen ist (seit 2012 als Kommissarin Bönisch im Dortmunder "Tatort") übrigens nicht. Sie wohnt mit ihrem Mann, Schauspieler Moritz Führman, und den Söhnen in der Region.

Für die Lesung in Kempen haben die Organisatorinnen vom Team Düsseldorf ein unglaublich erfolgreiches Werk ausgesucht. In 40 Sprachen wurden die vier Romane der Saga von Ferrante bislang übersetzt, zehn Millionen Bücher wurden weltweit verkauft. Ferrantes Saga kreist um die Freundinnen Elena und Lila, deren Lebensgeschichten mit gesellschaftspolitischen Themen aus 60 Jahren verwebt werden. Vom Nachkriegsitalien geht es über die Studentenbewegung bis in die Gegenwart. Dabei werden auch der Einfluss der Mafia in Neapels ärmlichen Vierteln, die Gewalt gegen Frauen und der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben angesprochen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort