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Kempen Gegen das Vergessen

Kempen · Die Gedenkstätte in Waldniel-Hostert wird derzeit künstlerisch neu gestaltet. Die Gedenkfeier für die Opfer von Hostert fand daher gestern in der Kirche in der Waldnieler Heide statt. Schüler fragten nach den Lehren für das Heute.

 Die Namen der Toten stehen auf Bronzeplaketten. Je niedriger die Plaketten hängen, desto jünger waren die Opfer des NS-Euthanasieprogramms.

Die Namen der Toten stehen auf Bronzeplaketten. Je niedriger die Plaketten hängen, desto jünger waren die Opfer des NS-Euthanasieprogramms.

Foto: Ronge

Helene Hartmann starb am 25. Mai 1943. Sie war acht Jahre alt. Friedrich Ludwig starb am 26. Mai 1943. Er war zwölf. Die Namen der beiden Kinder und viele, viele Namen mehr sind an der grauen Betonwand zu lesen, die die Gedenkstätte auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof in Waldniel-Hostert umschließt. Mehr als 500 Kinder und Erwachsene, die geistig oder körperlich behindert waren, starben in der NS-Zeit in Hostert.

 "Klaus war schlimm" steht auf dem wie geknetet wirkenden Ball.

"Klaus war schlimm" steht auf dem wie geknetet wirkenden Ball.

Foto: Ronge Birgitta

Dort befand sich seit 1937 eine Zweigstelle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Süchteln Johannistal. Von 1941 bis 1943 wurde in Hostert eine der größten Kinderfachabteilungen des Deutschen Reiches betrieben, sie verfügte über 200 Betten. 99 Kinder starben in Hostert, viele wurden Opfer des NS-Euthanasieprogramms. Sie starben durch mangelnde Ernährung, mangelnde Pflege, durch Medikamente.

 Zahlreiche Interessierte, darunter viele Schüler, besuchten gestern die Gedenkfeier in der Kirche St. Mariae Himmelfahrt in der Waldnieler Heide.

Zahlreiche Interessierte, darunter viele Schüler, besuchten gestern die Gedenkfeier in der Kirche St. Mariae Himmelfahrt in der Waldnieler Heide.

Foto: Prümen

Damit ihre Namen und ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geraten, schrieben im vergangenen Jahr Paten die Namen der Kinder und Erwachsenen und ihre Geburts- und Sterbedaten auf Wachsplättchen. Danach wurden Bronzeplaketten gefertigt. Jede Plakette ist durch die individuelle Handschrift der Paten einzigartig. Je höher eine Plakette hängt, desto älter war der Mensch, als er starb. Um die Namen der ermordeten Kinder zu lesen, muss man sich bücken.

Die Gedenkstätte wird derzeit künstlerisch neu gestaltet, das Konzept entwickelten die Künstlerin Katharina Struber und der Architekt Klaus Gruber aus Wien. Auf dem Gelände stehen schon die dunklen Beton-Elemente, die nach und nach den Blick des Betrachters auf die Rasenfläche freigeben. Drei große Kugeln liegen da, ihre Oberfläche ist so uneben, als habe ein Kind sie geknetet. Auf der gelben Kugel steht: "Klaus war schlimm."

Weil die Arbeiten auf dem Gelände der Gedenkstätte noch nicht abgeschlossen sind, fand die jährliche Gedenkfeier für die Toten von Hostert gestern in der Kirche St. Mariae Himmelfahrt in der Waldnieler Heide statt. Schüler der Europaschule Schwalmtal, die seit 1988 die Patenschaft für die Gedenkstätte hat, organisierten die Veranstaltung, zu der so viele Besucher kamen, dass in der Kirche fast kein Platz frei blieb. Jakob Mülstroh, Leiter der Europaschule, eröffnete die Gedenkfeier mit einem Zitat Roman Herzogs. 1996 hatte der damalige Bundespräsident in seiner Ansprache zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag gesagt: "Geschichte verblasst schnell, wenn sie nicht Teil des eigenen Erlebens wird. Deshalb geht es darum, aus der Erinnerung immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Wir wollen nicht unser Entsetzen konservieren. Wir wollen Lehren ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind."

Lehrerin Astrid Symanski-Pape, die mit den Schülern die Gedenkfeier organisiert hatte, schilderte die Ereignisse. Sie erzählte zunächst, wie die Bewohner des St.-Josefsheims, 1909 von Franziskanerbrüdern aufgebaut, mit den Dorfbewohnern Feste feierten. Wie die Kinder miteinander spielten, wie man gemeinsam die Gottesdienste in der Kapelle besuchte. Das änderte sich mit der Übernahme durch die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt. Mit Kriegsbeginn 1939 startete das Euthanasie-Programm.

Symanski-Pape berichtete, dass Ärzte und Pflegerinnen angehalten waren, "in angemessener Weise für einen guten Tod zu sorgen", und stellte die Fragen in den Raum, ob sich nicht Ärzte und Pfleger dem hätten widersetzen können? Ob sich Eltern hätten weigern können, ihr Kind herauszugeben? Ob die Menschen, die es mitbekamen, schweigen mussten? Sie berichtete auch, dass die meisten Ärzte und Pfleger nach Kriegsende nicht zur Verantwortung gezogen wurden, sondern weiterhin in der Pflege oder in der Hochschulforschung tätig waren: "Wer trägt die Verantwortung für das Vernachlässigen, Verhungern lassen, Vergiften, Vergasen?"

Die Jugendlichen transportierten diese Fragestellungen ins Heute. Eine Schülerin erinnerte daran, dass Menschen gemobbt werden, die nicht der Norm entsprechen, und fragte: "Warum glauben manche Menschen immer noch, dass sie besser als andere sind?" Ein Schüler appellierte an die Zuhörer: "Wir lassen uns das Denken nicht verbieten, wir laufen keinen falschen Parolen hinterher." Eine Jugendliche erklärte: "Menschen mit Behinderungen sind anders, sie sind einzigartig. Und sie können uns zeigen, wie vielfältig, bunt und reich das Leben ist."

Auf weißen Kreuzen hatten die Schüler Schilder befestigt - "vernachlässigt", "verhungert", "vergiftet" stand darauf. Diese Schilder trugen die Schüler zum Hochkreuz, das früher auf dem Anstaltsfriedhof stand. Heute steht es hinter der Kirche St. Mariae Himmelfahrt. Eine Gedenktafel dort erinnert an die unschuldig Ermordeten von Hostert.

(RP)
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