Lesung Über den Erfinder des „Crime Noir“

Kempen · Frank Heibert, preisgekrönter Übersetzer aus Berlin, hat seine neue Übersetzung des Raymond Chandler Klassikers „Der große Schlaf“ in der Stadtbibliothek Kempen vorgestellt.

 Frank Heibert las in der Kempener Stadtbibliothek nicht nur aus seinem neuen Chandler-Buch, er erzählte auch aus der Praxis des Übersetzers.

Frank Heibert las in der Kempener Stadtbibliothek nicht nur aus seinem neuen Chandler-Buch, er erzählte auch aus der Praxis des Übersetzers.

Foto: Wolfgang Kaiser

Es ist ungewöhnlich, dass ein Übersetzer eine Lesung hält, dabei ist es eigentlich nicht abwegig, denn auch wenn der Übersetzer die Handlung und die Charaktere nicht erdacht hat, so sind es doch seine Worte, die auf dem Papier stehen. „Wir haben eine gewisse künstlerische Freiheit“, erklärt Frank Heibert, Übersetzer aus Berlin, der auf Einladung der Kreisvolkshochschule und des Fördervereins der Stadtbibliothek Kempen in die Bücherei an der Burgstraße gekommen ist, um aus Raymond Chandlers „Der große Schlaf“ vorzulesen.

Dabei hält Heibert die aktuellste deutsche Fassung des amerikanischen Klassikers in der Hand, die er gerade fertig gestellt hat. „Wir sind dem Original verpflichtet, dem Sound der Vorlage, aber nicht der Wortwahl“, erklärt der Übersetzer auf Nachfrage den etwa 30 Zuhörern. Deutlich macht er das mit einem Bespiel: „Im Original steht ‚soldier‘, das hat aber im Amerika der 1930er-Jahre einen ganz anderen Klang als der Begriff „Soldat“ in Deutschland.“

Auch von der ersten Übersetzung des Werks aus den 1970er-Jahren weicht Heibert bewusst ab. „Ich habe mir neben dem Original von Chandler auch die Übersetzung von Ortlepp genau angeschaut, aber auch dann stellt man fest, dass manche Begriffe einfach nicht mehr zeitgemäß sind“, erzählt der Übersetzer. So habe Ortlepp sich an einer Stelle dazu entschieden, das Auftreten einer Frau damit zu umschreiben, dass es „jede Aufsichtsratssitzung sprengen würde“, bei Heibert heißt es jetzt „jedes Business-Lunch“.

Aber auch in der neuesten Übersetzung bleibt das Werk unverkennbar eine Geschichte aus der Feder von Raymond Chandler, der für seinen Übersetzer Heibert ein literarischer Schriftsteller war, der viel Freude daran hatte, das Lächeln der Menschen zu beschreiben, der seinen Privatdetektiv Philipp Marlowe mit coolen Sprüchen durch das Los Angeles der 1930er-Jahre, durch die Halb- und Unterwelt geschickt hat, und der die Frauen, allesamt durchgeknallte Sexbomben, abblitzen lässt.

Frank Heibert hat sich intensiv mit Chandler beschäftigt. Bei der Lesung in Kempen erzählt er ein bisschen aus dem Leben des Schriftstellers, der für Heibert der Erfinder des „Crime Noir“ ist. 1888 wurde Chandler in Chicago geboren, lebte aber nach der Scheidung der Eltern mit seiner Mutter in England. In London besuchte er das College, später die Handelsschule in Paris. Chandler arbeitet beim britischen Marineministerium, war Reporter und Soldat im Ersten Weltkrieg. Bis 1919 diente er in Frankreich und England, kehrte dann nach Kalifornien zurück und wurde Direktor einer Ölgesellschaft.

1933 erschien die erste Kurzgeschichte Chandlers in einem Journal, das sich als Serienprodukt für Kurzkrimis etabliert hatte. Mit „The Big Sleep“ legte Chandler 1939 seinen ersten Kriminalroman vor, der bereits 1946 mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall verfilmt wurde. Chandler ging als Drehbuchautor nach Hollywood, wurde dort aber nicht glücklich. Also widmete er sich ganz dem schreiben und veröffentlichte sieben Marlowe-Romane, die jetzt alle von unterschiedlichen Übersetzern neu bearbeitet herauskommen. „Der große Schlaf“, übersetzt von Franz Heibert, bildet den Auftakt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort