Gemeinde Grefrath Eine Zeitzeugin hält Erinnerung an das Unfassbare bis heute wach

Gemeinde Grefrath · Im Rahmen der Reihe "Geschichte zum Anfassen" besuchte Eva Weyl die Liebfrauenschule Mülhausen. Die Holocaust-Überlebende berichtete von ihrer Zeit im niederländischen Lager Westerbork.

 Eva Weyl - inzwischen 82 Jahre alt - bereist Schulen und informiert Jugendliche über den Holocaust. Gestern sprach sie mit Schülern in Mülhausen.

Eva Weyl - inzwischen 82 Jahre alt - bereist Schulen und informiert Jugendliche über den Holocaust. Gestern sprach sie mit Schülern in Mülhausen.

Foto: Orthen

Sechseinhalb Jahre ist Eva Weyl, als sie im Januar 1942 mit ihren Eltern in das KZ-Sammellager Westerbork gebracht wird. Schon 1933 ist die jüdische Familie aus Deutschland in die Niederlande geflohen. Nun fängt, nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt ein, wie es auf den ersten Blick scheint, "normales" Leben an. Das Lager wirkt wie ein Dorf. Es hat eine Schule, die das kleine Mädchen besucht, es gibt ein großes Krankenhaus mit mehr als 200 Ärzten und 800 Pflegern. Ein Spielplatz, ein Theater und eine Badeanstalt sind vorhanden. Die Eltern gehen arbeiten und sogar Haustiere leben mit im Lager. Zwar fahren immer wieder Züge mit Mitbewohnern des Lagers weg, aber "als Kind habe ich nichts bemerkt. Meine Eltern haben mich beschützt", erinnert sich Eva Weyl.

Eins wird klar bei den Ausführungen von Eva Weyl gestern vor Schülern in der Liebfrauenschule in Mülhausen: Es ist der trügerische Schein, der sie heute noch bewegt. "Es gab viele Lager, aber nur eins wurde so geführt wie Westerbork. Man gab den Juden alles was sie brauchten, damit sie ruhig blieben. Es gab ein Bett, zu essen und zu trinken sowie Arbeit und auch Unterhaltung", beschreibt die Niederländerin das Leben im Lager.

Hinter dieser perfiden Idee steckt der Obersturmführer Albert Konrad Gemmeker, der mit nur wenigen weiteren SS-Männern für das Lager zuständig ist. Hitlers Schergen treten kaum in Erscheinung, außer, wenn die Transporte anstehen. Es geht in dem Dorf ruhig zu. Gewalt ist ein Fremdwort. Erkrankte Lagerinsassen werden im Krankenhaus gesund gepflegt, um sie danach, 2000 Kilometer weiter, in den Massenvernichtungslagern umzubringen. Im Lager gibt es Gerüchte über die Ermordungen, aber kaum jemand der dort zwangsweisend lebenden Menschen will dies glauben.

Unter den Schülern der Liebfrauenschule herrscht fassungsloses Schweigen. Eva Weyl verdeutlicht, wie sie der Satz "Ich habe es nicht gewusst" noch heute berührt. "Ihr seid nicht verantwortlich für die Vergangenheit. Aber ihr tragt Verantwortung für die Zukunft. Ihr entscheidet, was ihr aus der Vergangenheit macht", betont die 82-Jährige mit Blick auf die aktuellen Ereignisse, die nicht nur in Deutschland herrschen. Die Gefahr, dass ein Verrückter aufstünde, bestünde immer. Die Religion sei schon immer eine Ursache für Streit gewesen, mahnt sie an.

Eine Thematik, die auch die Schüler bewegt. "Ich sehe Tendenzen, die nicht gut sind. Es gibt Menschen, die nicht mehr kritisch denken und sich mit Dingen auseinandersetzen. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die sich beeinflussen lassen. Ich sorge mich, dass unser demokratisches System kippen könnte", sagt der Oberstufenschüler Niklas. Sich Entwicklungen entgegenstellen und sich nicht von einer Stimmung des Hasses tragen lassen, sind für den 17-Jährigen ausschlaggebende Punkte. Aber nicht nur er findet es wichtig, dass man aus der Geschichte Schlüsse zieht und die Zukunft positiv gestaltet.

In den Augen der Schüler wiederholt sich Geschichte nicht, aber sie ähnelt sich und es werden immer wieder die gleichen Fehler gemacht. "Dass Menschen nicht nachdenken finde ich erschreckend", meint Jan. Der 15-Jährige hat die Gedenkstätte im früheren Konzentrationslager Auschwitz besucht, aber jetzt einer Zeitzeugin zuzuhören und mit ihr sprechen zu können, bewegt ihn noch mehr. "Es ist unvorstellbar, was einst passiert ist. Dies von jemanden zu hören, der zu dieser Zeit gelebt und es erlebt hat, ist ein anderes Gefühl, als wenn man sich Ausstellungen zum Thema anschaut", sagt Jan. Es sei wichtig, von diesen Geschehnissen zu erfahren, damit man sie weitererzählen könne. Zudem zeige es, wie wichtig es ist, in einer Demokratie zu leben, sagt Max.

(tref)
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