Interview: Serie 50 Jahre Realschule In Kempen (7 - Ende) Eine erfolgreiche Schule - und ihr Ende
Stadt Kempen · Dreimal in ihrer Geschichte war Kempens Realschule in ihrer Existenz bedroht. Beim dritten Mal wurde die Schließung in die Wege geleitet.
In Kempen startet die erste Offensive für eine Gesamtschule nach dem Koop-Modell bereits 1991. Im Frühjahr haben sich 109 Kempener Eltern für eine Gesamtschule ausgesprochen. Daraufhin hat der Stadtrat für 1993/94 einstimmig deren Errichtung beschlossen. Das wäre das Aus für die Realschule und eines der beiden Gymnasien. Aber als dann die erforderlichen Kosten zutage treten - allein für neue Schulbauten werden zwischen 43 und 66 Millionen D-Mark kalkuliert - macht der Stadtrat am 2. Juni 1992 den Beschluss wieder rückgängig und reduziert die Zahl der Pendel-Schüler aus dem Umland von 40 auf 20 Prozent.
Dann ein Highlight: Seit 1. August 2002 hat Kempens Realschule einen richtigen Namen: Sie heißt nun nach dem sozialkritischen Schriftsteller und Kinderbuchautor Erich Kästner. Der Vorschlag stammt von der Kunstlehrerin Gudrun Jeske. Das Emblem der Schule bilden künftig die bekannten Romanfiguren Pünktchen und Anton, untertitelt von "Gemeinsam auf dem Weg ins Leben!" Am 28. November 2002 findet eine große Namensfeier statt. Da ahnt noch niemand, dass die Schulgeschichte zwölf Jahre später in die Endrunde gehen wird.
Denn die zweite Offensive wird beizeiten abgeblockt. 2003 geht ein Aufschrei durchs Land: Nach der PISA-Erhebung, der internationalen Schulleistungsuntersuchung der OECD, nehmen die deutschen Schüler einen der hintersten Plätze ein. Folge: Die SPD in Nordrhein-Westfalen beabsichtigt, die Realschulen landesweit abzuschaffen. Sie sollen mit den Haupt- und Gesamtschulen der eine Teil eines zweisäuligen Systems werden, dessen andere Säule das Gymnasium ist. Leitung und Elternschaft der Kempener Realschule berufen schleunigst eine Protestversammlung ein. Einstimmig beschließen die Eltern am 15. Mai 2003, sich einer Unterschriftenaktion der Landeselternschaft anzuschließen. Dazu Elternsprecher Rainer Brüggemann: "Bewährtes würde vernichtet. Die Realschule ist überschaubar, ihre Schüler können individuell gefördert werden. So aber würde Förderung durch Nivellierung ersetzt." Und Schulleiter Uwe Hötter ergänzt: "Besser sollte man die Hauptschule stärken, die es immer schwerer hat, Lehrer zu finden." Wenig später gehen aus Kempen mehr als 1000 Karten nach Düsseldorf.
Neun Jahre später: An der Kempener Hauptschule wird gute pädagogische Arbeit geleistet, aber landesweit ist die Schulform nicht mehr gefragt, auch in Kempen gehen die Anmeldungen zurück. Wenn die Hauptschule angesichts drastisch zurückgehender Schülerzahlen es nicht schafft, zweizügig zu bleiben, ist ihre Existenz bedroht. Dann muss sie in einer Gesamtschule aufgehen.
Das bedeutet eine Kettenreaktion, denn neben einer Gesamtschule und zwei Gymnasien kann sich auch die Erich Kästner Schule - zweitgrößte Realschule in Nordrhein-Westfalen - nicht mehr halten. Dabei hatte sie 2012 noch 121 Anmeldungen, 2013 werden es 149 sein. Aber: Die bestehenden Schulgebäude im Schulzentrum reichen nicht aus, neben einer fünf- bis sechszügigen Gesamtschule noch eine kleinere - voraussichtlich zweizügige - Realschule mit Schulräumen zu versorgen.
Im Stadtrat ist Widerstand nicht zu erwarten. Hier hatten sich vor allem CDU und FDP über Jahre gegen eine Gesamtschule gesperrt. SPD und Grüne hatten sie immer wieder vehement gefordert. Für die CDU ist die Sache mittlerweile klar: Ein weiterer Widerstand ist zwecklos.
Laut Beschluss des Schulausschusses vom 11. April 2013 werden die Eltern, deren Kinder die ersten bis dritten Klassen der Grundschulen besuchen, vom 3. bis 18. Juni per Erhebungsbogen zu ihrem Wunsch nach einer weiterführenden Schule befragt. Die Beteiligung der Eltern von Erst- und Zweitklässlern liegt nur knapp über 50 Prozent. So rechnet das Schulamt die Zahlen hoch, was die FDP für fragwürdig hält. Aber die Mindestzahl von 100 positiven Stimmen für die Gesamtschule wird deutlich überschritten. Am 17. Oktober 2013 stimmt Kempens Rat dem Verfahren zur Einrichtung einer Gesamtschule in der Thomasstadt zu, was die Bezirksregierung Düsseldorf befürwortet. Damit sind die Weichen gestellt. Zum gerade erst begonnenen Schuljahr 2014/15 ist die neue "Städtische Gesamtschule Kempen" im ursprünglichen Volksschul- und späteren Hauptschulgebäude an der Fröbelstraße mit sechs Klassen pro Jahrgang gestartet. Bleibt die Frage, ob in Kempen vier Oberstufen - zwei am Gymnasium, je eine am Berufskolleg und an der Gesamtschule - nebeneinander werden bestehen können. 2019 wird die Kempener Realschule auslaufen - nach 55 Jahren.