Stadt Kempen Die Musik aus dem Schtetl hat überlebt

Stadt Kempen · Hochzeitstänze aus einem kleinen "Schtetl" nahe Kiew führten hinein in die musikalische Welt des früheren osteuropäischen Judentums. Jiddische Lieder und Klezmer, die weltliche ostjüdische Musik zu Familienfesten, erklangen in der Thomaskirche und riefen eine materiell äußerst ärmliche, kulturell aber höchst lebendige Welt in Erinnerung, die mit dem Völkermord der Nazis barbarisch vernichtet wurde.

Und doch lebt die Musik weiter. Singend, instrumental und mit informativen Erläuterungen führten Stefanie Hölzle (Geige, Bratsche, Klarinette) und Daniel Marsch (Akkordeon, Geige) in eine musikalische Welt ein, in der die Tradition nicht nur wach gehalten, sondern auch in verschiedene Richtungen weiterentwickelt wird. Da vor dem ersten Weltkrieg viele Juden vor den antisemitischen Repressionen im zaristischen Russland nach Amerika flohen, bildeten sich dort schon in den 1920er Jahren Zirkel, die das alte kulturelle Erbe pflegten und weiterentwickelten.

So entstand auch ein ganz eigener Umgang mit einer Musikrichtung, bei der man in der Regel nicht so schnell an Klezmer denkt, dem Tango. Nicht erst in Amerika, schon im osteuropäischen Milieu wurden die südamerikanischen Elemente des Tangos mit denen des Klezmer verbunden. "Spielste mir a Tango" war darüber hinaus ein typisches Beispiel dafür, dass während der Nazizeit in den Ghettos der osteuropäischen Städte der jiddische Tango auch mit politischen Botschaften verbunden wurde. So hieß es im Text doch eindeutig, dass Hitler zur Hölle fahren möge. Weil ihnen die ostjüdische Spielart des Tangos besonders am Herzen liegt und weil sie selbst keine Juden sind, nennen sich Hölzle und Marsch das Duo "Tangoyim" - eine Wortzusammenziehung von Tango und Goy (Nichtjude). Aber über dem Tango vergaßen sie nicht, eine bunte Vielfalt tradierter Lieder wie das vom tanzenden "Rebbe Elimelech" ebenso vorzustellen wie amerikanisch-jiddische Musik, die dem Konflikt zwischen Traditionspflege und Anpassung in der Neuen Welt musikalischen Ausdruck verleiht. Nicht nur dort. Auch in den nach der Oktoberrevolution entstandenen russisch-jüdischen Liedern spiegeln sich Konflikte wider. So in einem Arbeiterlied, das die Schwierigkeiten jüdischer Menschen in einer Kolchose zum Thema machte.

Es war ein interessanter, informativer und gleichzeitig unterhaltsamer Nachmittag, der die musikalische Reise "von Yurop nach Amerike" lebendig darbot und viel Anklang bei den Zuhörern fand. Herzlicher Beifall und zwei Zugaben.

(tr)
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