Stadt Kempen Die Liebe und die Lust am Leben

Stadt Kempen · Das Kempener Rezitationsensemble studiert unter der Leitung von Hans-Egon Kasten ein neues Programm ein. Die Mitglieder verbindet die Liebe zur deutschen Sprache. Manchmal sind die Proben auch beschwerlich.

 Sie mögen Lyrik und haben Spaß an Sprache (v.l.) Markus Lunau, Hans-Egon Kasten, Ursel Kozok und Jörg Mielke. Sie treffen sich regelmäßig zu Proben.

Sie mögen Lyrik und haben Spaß an Sprache (v.l.) Markus Lunau, Hans-Egon Kasten, Ursel Kozok und Jörg Mielke. Sie treffen sich regelmäßig zu Proben.

Foto: kurt lübke

Sehr konzentriert sitzen sie in einem Kempener Wohnzimmer um einen Tisch herum, beugen sich über Papiere. Jörg Mielke rezitiert gerade das berühmte Gedicht des deutschen Dichters Joseph von Eichendorff "Schläft ein Lied in allen Dingen..."

Als er den Vierzeiler beendet hat, schauen alle erwartungsvoll auf Hans-Egon Kasten. Der 82-Jährige ist künstlerischer Leiter des Kempener Rezitationsensembles, das sich gerade wieder einmal bei ihm und seiner Frau Anna zu Hause an der Marienburgstraße trifft. Sie bereiten sich auf den nächsten Auftritt des Ensembles im Herbst vor.

"Pass auf", sagt er an Jörg Mielke gerichtet, "das ist Romantik, der Ton muss romantisch sein." Jörg setzt erneut an. Mit einem kräftigen "Nein!", wird er von Kasten unterbrochen. "Die ganze Welt ist in allen Dingen zauberhaft", erläutert er. "Wir müssen den Zauber erkennen. Deine Rezitation ist das Zauberwort." Und vielleicht ist damit auch schon alles gesagt.

Denn darum geht es ihnen allen hier, die Schönheit deutscher Lyrik mittels Sprache und Interpretation einem Publikum zugänglich zu machen. Den Schatz, der meist ungelesen in alten Bücherschinken schlummert, zum Leben zu erwecken.

Doch Lyrik ist verdichtete Sprache, verdichteter Inhalt, nicht immer leichte und schnelle Kost. Auch das wissen alle hier, wie sich erst allmählich, oftmals über einen langen Zeitraum hinweg ein Gedicht erschließt, es erarbeitet und erobert werden will. Da braucht es einen erfahrenen Wegweiser und Reiseleiter.

Geistiger Mittelpunkt und Mentor des Kempener Rezitationsensembles ist Hans-Egon Kasten. Der ehemalige Leiter der Förderschule in Lobberich sprüht trotz seines fortgeschrittenen Alters geradezu vor Lebendigkeit. Er stellt die Programme zusammen und bindet die einzelnen Gedichte in einen erklärenden und aufhellenden Gesamtzusammenhang, der etwa auch biografische Angaben zu den Autoren liefert. Die Textpassagen werden mit verteilten Rollen von den einzelnen Mitgliedern vorgetragen.

Neben Hans-Egon Kasten, den übrigens alle Hannes nennen, sind dies die Kempener Jörg Mielke (55), Markus Lunau (54) und Ursel Kozok (47). Alle sind hauptberuflich in anderen Berufsfeldern engagiert, nach eigenen Angaben auch ganz unterschiedliche Charaktere, aber die Liebe zur deutschen Sprache und die Lust daran, auf der Bühne zu stehen, das verbindet sie. Und das seit 20 Jahren.

Familiär, vertraut und ungezwungen ist die Atmosphäre bei den Zusammenkünften im Wohnzimmer der Kastens, wo die Gruppe von Anna Kasten mütterlich-fürsorglich betreut wird. Sie war es auch, die das Ensemble nach neunjähriger Pause im vergangenen Jahr wieder zusammengebracht hat.

Sie habe immer den Wunsch gehabt, dass ihr Hannes wieder zurück auf die Bühne kehrt, erzählt sie. "Das macht ihn unendlich glücklich." Im Haus der Kastens stapeln sich schon im Flur die Bücher. Hans-Egon Kasten, der als junger Mann selbst schauspielerische Ambitionen hatte, beschäftigt sich zeitlebens intensiv mit Lyrik, ganze Passagen spricht er mit großer Intensität auswendig.

Die Gedichtauswahl für das Programm hat er eh im Kopf. Er kann gar nicht alles unterbringen, was ihm da so einfiele. "Du hast von Anfang an diese Begeisterung in mir geweckt", sagt ihm etwa Markus Lunau. "Ich habe früher gar nicht gewusst, was Rezitieren überhaupt ist. Meinen Kindern habe ich Märchen vorgelesen. Mehr nicht."

Als Frohnatur habe er sich unter der Anleitung von Hannes auch durch dunkle Texte gearbeitet und dabei sehr viel gelernt. Bereichert fühlen sich alle hier. Auch wenn das intensive Eintauchen in fremde Gefühls- und Gedankenwelten manchmal beschwerlich ist. "Das war bei der jüdischen Lyrik so. Das mussten wir uns richtig erarbeiten. Und es tat so weh," erinnert sich Jörg Mielke. Das Ganze sei im positiven Sinn auch "unglaublich bildend", bestätigt Ursel Kozok.

Jörg Mielke fasst es so zusammen: "Wir leben nicht davon. Aber wir leben dafür. Und wir haben Zeit." Ein kostbares Gut und ein Gegenpol zum immer schneller und oberflächlicher werdenden Alltag. Ein Jahr lang dauern die Vorbereitungen für den Auftritt. Alle ein bis zwei Wochen kommt das Ensemble zusammen. In dieser Zeit wird geprobt, auch gestritten, die Rollen werden manchmal umverteilt und Kasten entwickelt das Programm weiter.

Der erste Auftritt nach der langen Pause im letzten Herbst war übrigens ein voller Erfolg, den Hans-Egon Kasten als ein "Faszinosum" bezeichnet. Rund 130 Gäste, darunter viele jüngere Menschen, waren in die Kultureinrichtung "Haltestelle" an der St. Töniser Straße gekommen. Das nächste Programm kommt am 26. November am gleichen Ort zur Aufführung. Es soll das Publikum einfach nur beglücken und steht unter dem Motto "Die Seele nährt sich von der Freude" mit Lyrik von der Liebe und von der Lust am Leben.

(evs)
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