Kempen Das unerforschte Leiden

Kempen · Marlene Lenssen leidet an einer schweren Blasenerkrankung. Sie ist selten und kaum erforscht. Die St. Huberterin möchte eine Selbsthilfegruppe gründen, um anderen Betroffenen ein Forum zu bieten und Mut zu machen.

Stadt Kempen Eigentlich lief bei der heute 56-Jährigen alles rund: Die zwei Kinder waren erwachsen, ihr Kosmetikinstitut in St. Hubert lief gut, im Rat der Stadt Kempen vertrat sie seit 15 Jahren die Interessen der SPD, und sie hatte gerade die Laientheatergruppe Kendelbühne gegründet. Eine taffe Frau, die viel Lebensfreude versprüht. Dann begann die Odyssee. Die St. Huberterin bekam eine vermeintliche Blasenentzündung. Der Arzt verschrieb Antibiotika. Erfolglos. Sie ging von einem Facharzt zum nächsten. Viele schmerzhafte Untersuchungen und eine Operation musste Marlene Lenssen über sich ergehen lassen. Ergebnislos. Vom Urologen ging’s zum Psychologen und weiter zum Gynäkologen. Der tat die Schmerzen von Frau Lenssen ab: „Das ist bei Frauen ihres Alters schon mal so.“ Sie war fix und fertig.

Lebensqualität sinkt

Erst durch eigene Recherche der St. Huberterin kam heraus, woran sie leidet: interstitielle Cystitis (IC). Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich eine schwere, seltene, nicht bakterielle chronische Blasenerkrankung. Ihre Ursache ist unbekannt, und da sie selten auftritt – wobei die Dunkelziffer bei diesem heiklen Thema sicher immens hoch ist –, halten Forschung und Pharmaindustrie sich mit ihren Aktivitäten sehr zurück. Für die Betroffenen bedeutet die Krankheit indessen nicht nur große Schmerzen, sondern auch eine große Beeinträchtigung der Lebensqualität. Folge ihrer Krankheit für die St. Huberterin: die Blase ist geschrumpft, fasst nur noch 27 Milliliter. Um die Instillation der erforderlichen 50 Milliliter Medizin durchführen zu können, ist schon eine Dehnung der Blase erforderlich. Ursache für die Schmerzschübe ist bei ihr eine Unverträglichkeit bzw. Allergie bei 40 verschiedenen Lebensmitteln. Die Folge: strengste Diät.

Früher sei sie stets die erste Frau an der Spritze gewesen, so Marlene Lenssen. Heute rufe sie kaum mehr einer an. Freunde und Bekannte wissen: „Die geht ja eh nicht mit.“ Aufgrund der Beeinträchtigungen hat sie sich sehr zurückgezogen. In der eigenen Großfamilie wird viel gefeiert – heute meist ohne sie. Gesellschaftliche Ereignisse meidet sie, dort würde sie „nur stören“. Und auch die Kendelbühne muss auf sie als Schauspielerin verzichten. Marlene Lenssen lässt aber nicht locker. Mit der Gründung einer Selbsthilfegruppe möchte sie allen Betroffenen Mut machen. Dort soll ein Forum zum Austausch geboten werden. Sie rät allen, eine angebliche Blasenentzündung nicht zu verschludern, sondern der Sache auf den Grund zu gehen.

Die Zukunft für die St. Huberterin ist ungewiss. Es kann sein, dass sie ihre Blase verliert. Sie hofft auf die Forschung. In Hamburg gebe es den Prototyp einer Kunstblase. Sie gibt sich kämpferisch. „Solange es geht, werde ich das Organ behalten.“ Da komme der Terrier in ihr zum Vorschein, sagt Frau Lenssen und lächelt. Frage des Tages

(RP)
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