Interview Landrat Andreas Coenen Ausflugsverkehr an der Grenze stoppen

Kreis Viersen · Landrat Andreas Coenen spricht im Interview über Beschränkungen für Ausflügler, mehr Schutz für Heimbewohner und die Demission der Corona-Krisenstabsleiterin Katarina Esser.

 Andreas Coenen, Landrat des Kreises Viersen, spricht sich dafür aus, den grenzüberschreitenden Ausflugs- und Einkaufsverkehr zum Stillstand zu bringen.

Andreas Coenen, Landrat des Kreises Viersen, spricht sich dafür aus, den grenzüberschreitenden Ausflugs- und Einkaufsverkehr zum Stillstand zu bringen.

Foto: Gebhard Bücker/Gebhard Bücker Photographie

Der Kreis Viersen ist von der Corona-Pandemie stark betroffen. Die Zahl der Toten, die mit Sars-CoV2 infiziert waren, ist zweistellig – bei vielen handelt es sich um Bewohner von Seniorenheimen.

Mittlerweile grassiert das Virus in neun Altenpflegeeinrichtungen – auch viele Mitarbeiter dort sind infiziert. Müsste da nicht in allen Heimen mehr und schneller getestet werden - vielleicht mithilfe des mobilen Diagnosezentrums?

Andreas Coenen Die Bewohner der Pflegeheime gehören aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen zur Risikogruppe. Das ist die Gruppe der Bevölkerung, die wir besonders schützen müssen. Deswegen wurden ja auch die erheblichen Einschränkungen wie das Kontaktverbot verordnet. Natürlich ist es da verständlich, wenn der Ruf nach häufigeren Tests laut wird.

Hendrik Streeck, Professor für Virologie am Bonner Institut für Virologie, hat angeregt, dass angesichts der langen Inkubationszeit die Mitarbeiter in Pflegeheimen und Krankenhäusern alle vier Tage in einem Pool-Verfahren getestet werden...

Coenen So weit sind wir - in der gesamten Republik - noch nicht mit den Kapazitäten, dass wir das machen könnten. Aber: Der Kreis reagiert auf die Notwendigkeit, die Bewohner der Heime noch besser schützen zu müssen. In Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung und mit den Hilfsorganisationen DRK und Malteser bringen wir ab diesem Mittwoch ein neues Screening-Fahrzeug zum Einsatz, das speziell Pflegeheime ansteuert.

Wann kommt das Screening-Fahrzeug zum Einsatz?

Coenen Immer dann, wenn in einem Heim ein Fall des neuartigen Coronavirus auftritt – ob bei einem Bewohner oder einem Mitarbeiter – wird dieses Fahrzeug sofort dorthin geschickt. Dann werden alle Menschen, die dort wohnen und arbeiten, sofort getestet. Das ermöglicht uns, schneller als bislang ein umfassendes Bild über die Lage im Heim zu gewinnen und sofort zu reagieren.

Am Montag hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Entscheidung des „Corona-Kabinetts“ in Berlin mitgeteilt, dass die Grenze zu den Niederlanden offen bleibt. Die Situation ist insbesondere in Nettetal-Kaldenkirchen nicht einfach, wo am Wochenende Hunderte Niederländer hingereist sind.

Coenen Dass die Grenze offen bleibt, ist wichtig. Waren müssen ungehindert die Grenze passieren können. Man muss zum Arbeiten in die Niederlande fahren können und umgekehrt. Da gibt es ja auch ganz pragmatische Lösungen an der Grenze zwischen den Niederlanden und Belgien. Aber: Wir müssen den grenzüberschreitenden Ausflugs- und Einkaufsverkehr in beide Richtungen zum Stillstand bringen. Ich habe am Montag mit Antoin Scholten telefoniert, dem Bürgermeister von Venlo. Wir beurteilen die Lage gleich. Die Niederländer haben das vergangene Wochenende genutzt, um Erfahrungen zu sammeln für Regelungen zu Ostern und um landesweite Regelungen zu besprechen. Ich setze immer noch darauf, dass es uns gelingt, die Regelungen diesseits und jenseits der Grenze anzupassen. Eine völlige Schließung der Grenze wäre die ultima ratio.

Die neue Leiterin des Kreisgesundheitsamtes tritt erst im Mai ihren Dienst an. Seit Januar ist die Leitungsstelle vakant, auch die Stellvertreterposition ist seit Ende Februar frei. Die Personallage sah so fatal aus, dass Sie das Land NRW um medizinisches Personal gebeten haben.

Coenen Wir waren wirklich auf einer Durststrecke. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsamt haben hart gearbeitet und einen verdammt guten Job gemacht und tun diesen noch immer. Inzwischen stellt sich die Lage besser dar. Die Stellvertreter-Position ist mittlerweile durch eine unserer Ärztinnen besetzt, und wir haben zum 1. Mai eine neue Kollegin an Bord, die die Leitung des Amtes übernehmen wird. Ich freue mich sehr, dass wir mit Barbara Nieters, die zurzeit Medizinaldirektorin bei der Stadt Duisburg ist, eine exzellente Fachärztin auf dem Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens gewinnen konnten. Sie war vergangene Woche hier und hat schon an Vorstellungsgesprächen teilgenommen. Das ist nämlich der zweite Teil der guten Nachricht: Wir sind in Gesprächen mit zwei Ärztinnen und einem Arzt, die wir ebenfalls für eine Mitarbeit im Kreisgesundheitsamt gewinnen wollen.

Wie sieht die personelle Situation im Gesundheitsamt des Kreises Viersen derzeit konkret aus?

Coenen Von den vorhandenen elf Stellen sind derzeit 8,5 Stellen besetzt. Mit Frau Nieters werden dann 9,5 Stellen besetzt sein. Für die verbleibenden anderthalb Stellen sind wir in guten Gesprächen mit mehreren Ärztinnen und Ärzten. Seit Montag sind zudem zwei Ärztinnen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für vier Wochen bei uns im Einsatz. Daneben nehmen zwei zusätzliche Qualitätsprüfer und ein zusätzlicher Pflegegutachter des Medizinischen Dienstes den telefonischen Erstkontakt zu den Kontaktpersonen auf und legen deren häusliche Quarantäne-Zeitraum fest. Und eine zusätzliche Assistenzkraft übermittelt die Daten positiv getesteter Personen an das Robert-Koch-Institut.

In der vergangenen Woche haben Sie Katarina Esser als Leiterin des Krisenstabs abberufen. Welche Gründe haben Sie bewogen, die Kreissozialdezernentin mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben freizustellen?

Coenen Ich kann die Frage verstehen, bitte aber um Verständnis, dass ich in der Öffentlichkeit über eine Personalentscheidung nicht sprechen möchte. Ich habe die Entscheidung getroffen und jetzt schauen wir in die Zukunft. Mit Thomas Heil bekommt der Krisenstab erfahrenen Kollegen als Leiter, der zudem entsprechend geschult ist. Er hat Erfahrung als Krisenstabsleiter in der Flüchtlingskrise gesammelt und dort einen sehr guten Job gemacht hat.

Warum leiten Sie den Krisenstab nicht selbst – trauen Sie sich das nicht zu?

Coenen Ich traue mir das sehr wohl zu – und es würde mir sogar Freude machen. Aber es gibt einen Erlass des Innenministeriums. Der empfiehlt den Landräten und Oberbürgermeistern als politisch gesamtverantwortliche Person, den Krisenstab nicht selbst zu leiten. Wir haben uns als Kreis Viersen – wie viele andere Verwaltungen auch – dafür entschieden, dass der Landrat nicht gleichzeitig Leiter des Krisenstabs ist. Das hat gute Gründe.

Nämlich?

Coenen Die Leitung des Krisenstabs ist operativ – und eventuell auch im Schichtbetrieb tätig. Als Landrat wäre ich da dauerhaft absorbiert und stünde für Leitentscheidungen, für strategische Entscheidungen, die ich zu treffen und zu kommunizieren habe, nicht mehr zur Verfügung. Auch wenn die Bewältigung der Coronakrise zurzeit unser Hauptaugenmerk erfährt und viele Ressourcen in deren Bewältigung verlagert sind, gibt es ja auch noch andere Aufgaben. Aber natürlich begleite ich die Arbeit des Krisenstabes und setze Impulse. Das wird hervorragend funktionieren zwischen Thomas Heil und mir.

Lassen Sie uns mal über Zahlen sprechen: Der Kreis veröffentlicht täglich die Zahlen der Neu-Infizierten, der Genesenen, der Verstorbenen. Wie aussagekräftig sind diese Daten?

Coenen Die Zahlen sind naturgemäß nur begrenzt aussagekräftig. Das Hauptproblem ist die Dunkelziffer. Wenn ich mehr teste, bekomme ich auch mehr Infizierten-Zahlen. Das Dunkelfeld zu ergründen, ist ja auch einer der Gründe für eine Studie, die der Bonner Virologe Streeck derzeit im Kreis Heinsberg durchführt. Davon versprechen auch wir uns Erkenntnisse. Alle, die im Kreis Viersen mit diesen Zahlen umgehen, wissen um deren begrenzte Aussagekraft. Es ist aber auch so: Es sind die einzigen Zahlen, die wir haben. Insofern kann ich das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Daten verstehen. Und letztlich: Wir arbeiten ja daran, die Kurve abzuflachen, den Verlauf der Pandemie an die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems anzupassen - dafür brauchen wir Zahlen

Verzerrt werden die Daten ja auch durch den Umstand, dass es bisweilen bis zu neun Tage dauert, bis die Testergebnisse vorliegen.

Coenen  Das war in der Vergangenheit in manchen Fällen so. Allerdings sind in den Laboren Kapazitäten hinzugekommen, weil chemische und veterinärmedizinische Untersuchungen inzwischen hinten angestellt werden. Aktuell sprechen wir über einen Zeitraum von zwei bis vier Tagen, bis die Corona-Testergebnisse aus den Laboren vorliegen.

Viele Unternehmen haben dem Kreis Unterstützung bei der Beschaffung von Schutzmaterialien in Aussicht gestellt. Wie stellt sich derzeit die Situation dar?

Coenen Das große Echo hat mich sehr gefreut, das ist ein starker Beweis für das gute Miteinander hier im Kreis! Bei jeder Einzelperson, bei jedem Unternehmen bedanke ich mich! In Kombination mit eigener Beschaffungstätigkeit und mit Lieferungen der Bezirksregierung können wir vermelden, dass für den Rettungsdienst, die Krankenhäuser und die Pflegeeinrichtungen die Einsatzfähigkeit gewährleistet ist. Aber: Wir reden hier nicht von dicken Polstern, auf denen sich bequem arbeiten ließe. Der Bedarf ist nach wie vor groß, wir brauchen weiterhin Hilfe.

Wie stark beeinträchtigt das neuartige Coronavirus die Arbeit der Kreisverwaltung? Gibt es Infizierte?

Coenen Wir haben in der Kreisverwaltung zum Glück noch keinen infizierten Mitarbeiter. Die Kreisverwaltung ist also im Rahmen der rechtlichen Beschränkungen funktionsfähig.  Seit Beginn der Pandemie haben wir auf Krisenmodus umgestellt und Mitarbeiter umgeschichtet, um die Krise zu bewältigen und das Gesundheitsamt und den Krisenstab zu unterstützen. So wird etwa unser Bürgertelefon besetzt von Mitarbeitern aus allen Bereichen des Hauses. Das Gleiche gilt für das Telefon, unter dem die Spendenaufrufe entgegengenommen werden. Wir haben aber auch versucht, weiter für die Menschen im Kreis Viersen im Einsatz zu sein und unseren Betrieb so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Wir haben etwa die Kfz-Zulassung so gestaltet, dass sie weiter funktioniert. Der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes arbeitet ebenfalls weiter. Sämtliche Beratungsangebote für persönliche Krisensituationen sind nach wie vor geschaltet. Und auch in der Krise gibt es im Kreis Kultur- und Bildungsangebote: Mich freut sehr, dass unsere Kreismusikschule Online-Unterricht anbietet. Die Kreisvolkshochschule hat Gratis-Online-Kurse im Programm. Unser Niederrheinisches Freilichtmuseum bietet virtuelle Führungen an, das Kreisarchiv ein tägliches Rätsel. Und ich bin stolz, dass wir mit dem mobilen Corona-Untersuchungszentrum, mit der Quarantäne-Einrichtung in Nettetal, mit der Kinder-Notbetreuung und jetzt mit dem neuen Screening-Fahrzeug viel Gutes und Innovatives zur Bewältigung der Krise auf den Weg gebracht haben. Dafür bin ich meinen Leuten dankbar, aber auch den beteiligten Beschäftigten der Städte und Gemeinden und nicht zuletzt der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein Kreis Viersen.

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