Kempen Auf den Spuren der Zwangsarbeiter

Kempen · Der Wanderweg des Projekts "Grenzgeschichten" wird am Sonntag im Elmpter Wald offiziell freigegeben. Der Weg und drei Fahrradrouten führen an Bodendenkmälern vorbei, die an ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte erinnern.

 Station 5: Wilbert Dekker erläutert die Funktion eines MG-Ringstands.

Station 5: Wilbert Dekker erläutert die Funktion eines MG-Ringstands.

Foto: Ronge Birgitta

Ein Wildpferd unterbricht die Heidepflege und schaut auf. Die Sonne scheint, in den Bäumen hüpfen die Vögel umher. Der Spaziergänger vermag sich kaum vorzustellen, was 1944 im Elmpter Wald geschah. Von den Ereignissen in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges berichten jetzt Tafeln, die an acht Stationen aufgestellt worden sind.

 Station 7: Am Grenzstein 411 wurde eine Zwangsarbeiterin erschossen.

Station 7: Am Grenzstein 411 wurde eine Zwangsarbeiterin erschossen.

Foto: Ronge Birgitta

Von Station zu Station führt ein Wanderweg, der am Sonntag offiziell eröffnet wird. Auch drei Radrouten gibt es, die wie der Wanderweg im Rahmen des Projekts "Grenzgeschichten" eingerichtet wurden. Nach anderthalb Jahren der Planung ist das 43.000 Euro teure Projekt nun abgeschlossen. Die Hälfte gab die Europäische Union, den Rest finanzierten die beteiligten Gemeinden Niederkrüchten, Roermond und Roerdalen. Denn die Geschichte des Grenzgebiets ist ihre gemeinsame Geschichte.

 Konik-Wildpferde beäugen aus der Ferne die Spaziergänger.

Konik-Wildpferde beäugen aus der Ferne die Spaziergänger.

Foto: Ronge Birgitta

Im Juni 1944 waren die Alliierten in der Normandie gelandet. Schnell rückten sie nach Westen vor. Daraufhin befahl Hitler Ende August, die Weststellungen auszubauen, um die Alliierten zu stoppen. Anfang September erfolgte der Aufruf des "Volksaufgebots": Tausende Menschen wurden zum Schanzen gerufen, darunter Einwohner aus Grenzgemeinden, die ihre Dörfer nicht verlassen hatten, Mitglieder der Hitlerjugend, Angehörige des Reichsarbeitsdienstes und Zwangsarbeiter, die die Nazis aus Polen, Russland, Weißrussland und der Ostukraine geholt hatten, um in deutschen Fabriken zu arbeiten. Mehr als die Hälfte von ihnen waren Frauen.

 Station 3: Was wie eine Kuhle im Gelände aussieht, ist ein Panzergraben. Er sollte helfen, die Alliierten auf ihrem Vormarsch zu stoppen.

Station 3: Was wie eine Kuhle im Gelände aussieht, ist ein Panzergraben. Er sollte helfen, die Alliierten auf ihrem Vormarsch zu stoppen.

Foto: Birgitta Ronge

Mit Spaten und Schaufeln gruben sie von Venlo bis Roermond und von dort aus weiter bis Vlodrop Gräben, die der Feind nicht überwinden sollte: Panzergräben, insgesamt 272 Kilometer lang, bis zu dreieinhalb Meter tief und vier Meter breit, 1133 Kilometer Laufgräben, 263 Ringstände. Sie legten Bunker an und zogen Stacheldraht.

Der größte Teil dieser Gräben ist heute nicht mehr sichtbar. Viele wurden mit Erde zugeschoben. Nur im Elmpter Wald sind sie über mehrere Kilometer noch zu sehen - Bodendenkmäler, die durch das Projekt "Grenzgeschichten" erhalten werden sollen. Denn den Gräben drohten Gefahren: Immer wieder gab es in der Vergangenheit Klagen über Mountainbiker, die die Hügel hinabdüsten - vermutlich ohne zu wissen, welch einzigartige Relikte sie dabei zerstören.

Durch den Wanderweg und die Fahrradrouten wollen die am Projekt beteiligten Gemeinden dafür sorgen, dass die Bodendenkmäler nicht zerstört werden. "Wenn man solche Schilder hat, ist es einfacher, sie zu schützen", sagt der Militärarchäologe Dwayne Beckers (27), der die Anlagen erforscht hat.

Die Wanderung beginnt auf dem Parkplatz am Lüsekamp, gleich hinter dem Fletcher Landhotel Bosrijk in Roermond. Dort gibt eine große Tafel einen guten Überblick über die Strecke. Wenige Schritte weiter steht ein Gedenkstein. Er erinnert an 13 Jungen und Männer aus Roermond und einen Polen, die dort am 26. Dezember 1944 von deutschen Soldaten erschossen wurden. Die Wehrmacht hatte ein Exempel statuieren wollen: Die Männer waren einem Aufruf des Kommandanten in Roermond nicht gefolgt. Aus Angst, als Zwangsarbeiter nach Deutschland geschickt zu werden, hatten sie sich versteckt. Sie wurden gefunden und im Lüsekamp erschossen. Daraufhin meldeten sich rund 3000 Roermonder beim Kommandanten. Sie wurden noch am 30. Dezember als Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht.

Weiter führt der Weg vorbei an großen Panzer- und kleinen Laufgräben. Heute stehen rundum hohe Kiefern - 1944 lag die Landschaft offen da. Rund 40 Hektar Wald waren gekappt worden, "damit die deutsche Artillerie möglichst weit sehen konnte", erklärt der Roermonder Ratsherr Wilbert Dekker (70), der sich mit der Geschichte des Grenzgebiets beschäftigt hat. Auch am Grenzstein 411 an Station 7 steht eine Tafel. Der Text erzählt von einer osteuropäischen Zwangsarbeiterin, die dort von deutschen Soldaten erschossen wurde.

MG-Ringstände und Bunker am Weg zeigen, wie man die Alliierten aufhalten wollte. An einer Stelle liegt ein Bunker-Eingang im Waldboden frei - ein Spaziergänger oder Hund könnte leicht hineinstürzen. Deshalb empfiehlt es sich, die ausgeschilderten Wege keinesfalls zu verlassen. Doch das ist im Naturschutzgebiet ohnehin verboten.

(RP)
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