Kamp-Lintfort Malerin Karin Koch erforscht das Glück

Kamp-Lintfort · Die Kamp-Lintforter Konzeptkünstlerin, die es in die Großstadt Berlin zog, beleuchtet künstlerisch die Facetten des Gefühls, nach dem alle Menschen streben. Die Auseinandersetzung mit dem Glück ist für sie ein Lebensthema.

 Obwohl es Karin Koch nach Berlin zog, kehrt sie immer gerne mit neuen Arbeiten und Ausstellungen nach Kamp-Lintfort zurück.

Obwohl es Karin Koch nach Berlin zog, kehrt sie immer gerne mit neuen Arbeiten und Ausstellungen nach Kamp-Lintfort zurück.

Foto: Archiv

Macht Geld glücklich? Liegt es etwa auf der Straße? Karin Koch untersucht das Glück — mit Mitteln der Kunst. Die Konzeptkünstlerin stellte in Berlin und in Kamp-Lintfort Schuhkartons an öffentlichen Plätzen auf und forderte die Passanten auf, anonym ihre Definition von Glück aufzuschreiben. "Neun Monate später, als ich die Kartons wieder abholte, waren sie pickepacke voll. Damit hätte ich nie gerechnet." Sie schuf für Berlin 13 Textbanner, auf denen sie die Antworten festhielt. Die Aktion, die mit Mitteln des Berliner Senats gefördert, 2009 in Falkensee und 2011 in Kamp-Lintfort wiederholt wurde, stieß in der Bundeshauptstadt auf eine große Resonanz. In Berlin fand Karin Koch auch die 15 Menschen, die alle mit Nachnamen Glück heißen und bereit waren, sich porträtieren zu lassen. Es entstand eine Galerie mit freundlichen Gesichtern. "Ob Sie es glauben oder nicht: Es waren glückliche Menschen."

 Karin Koch fand in Berlin Menschen, die alle den Nachnamen Glück haben und sich gerne von der Künstlerin, die aus Kamp-Lintfort stammt, porträtieren ließen – allerdings nach Art der Künstlerin: Die Fotos wurde geknickt und geknautscht, wieder glatt gestrichen und übermalt.

Karin Koch fand in Berlin Menschen, die alle den Nachnamen Glück haben und sich gerne von der Künstlerin, die aus Kamp-Lintfort stammt, porträtieren ließen – allerdings nach Art der Künstlerin: Die Fotos wurde geknickt und geknautscht, wieder glatt gestrichen und übermalt.

Foto: Privat/Bernd Hiepe

Zum ersten Mal stellte sich Karin Koch die Glücksfrage, nachdem sie in einem Tanzkursus einen blinden Mann kennengelernt hatte. "Beim Tanzen hatte er die volle Orientierung im Raum, während ich fast die Spiegelwand übersehen hätte, obwohl ich sie ja hätte sehen müssen. War das nur Glück? Oder war der Mann etwa blind vor Glück?" Diese Fragen gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf und waren Auslöser für viele künstlerische Aktionen. Inzwischen ist das Glück fast ein Lebensthema für sie geworden. "Das Wort Glück findet sich zum Beispiel in vielen meiner Arbeiten in Braille-Schrift, unsichtbar für das sehende Auge. Die Blindenschrift wird auf diese Weise zur Metapher für etwas, das wir nicht sehen, aber fühlen können", erklärt sie die Idee. Damit aber nicht genug: Um dem Glück so richtig auf den Grund zu gehen, realisierte Koch immer neue Projekte. Auch in ihrer Heimatstadt Kamp-Lintfort stellte sie die Schuhkartons auf. Das Ergebnis ihrer Recherche war auf fünf Bannern vor dem Rathaus und der Orangerie im Terrassengarten zu sehen. "Leider liegen die Fahnen heute in irgendeiner Schublade im Rathaus", bedauert Karin Koch. Sie würde sich darüber freuen, wenn ihre Installation vor der Hochschule Rhein-Waal einen dauerhaften Platz finden würde. "Ich habe schon mit der Dekanin gesprochen, die nicht abgeneigt schien. Es kommen so viele Studenten nach Kamp-Lintfort, die durch die Fahnen ein Bild von den Menschen in dieser Stadt bekämen."

Die Künstlerin suchte auch das Glück auf der Straße: Anderthalb Jahre lang traf sie Obdachlose, Arbeitslose, Prostituierte und Junkies und sprach mit ihnen darüber, was für sie Glück ist. "Das war schon schwierig. Als ich mich zu den Obdachlosen auf die Straße setzte und sie nach ihren Glücksmomenten befragte, haben sie mir zuerst Blöd gezeigt und den Kopf geschüttelt. Das war nicht leicht auszuhalten."

Auf der Straße traf sie ein 18-jähriges Mädchen, das schon mit elf Jahren von Zuhause fortgelaufen war und seitdem als Prostituierte arbeitete. "Sie hat mir berichtet, dass sie in den schlimmsten Situationen Menschen getroffen habe, die ihr geholfen hätten. Das rührt einen an." Karin Koch sprach mit Prostituierten, die hofften, ihre Freier würden sich zu ihnen bekennen, und mit Dominas, die davon erzählten, wie sich Männer abwendeten, wenn sie sich öffentlich trafen. Die Konzeptkünstlerin setzte ihre Erlebnisse und Erfahrungen als Installation einer zehn Meter langen und begehbaren Straße aus Panzerglas. Darunter liegen Fotos von Pflastersteinen und Porträts der Menschen, deren Glücksgeschichten sie auf der Straße sammelte. Dazu gibt es die Geschichten auch auf Tonband. Karin Koch beschäftigte sich Kunst mit dem Zusammenspiel von "Glück und Sexualität" sowie "Glück und Reichtum". Dafür besorgte sie sich bei der Deutschen Bundesbank 3,4 Millionen Euro — allerdings geschreddert. Daraus schuf sie eine Installation in Form einer Tischvitrine. "Das rief bei den Ausstellungsbesuchern in der Orangerie am Terrassengarten in Kamp-Lintfort Bedauern und Begehrlichkeiten aus", schmunzelt Karin Koch.

2010 übernahm die Künstlerin an der Freien Universität Berlin am Soziologischen Institut zwei Semester lang eine künstlerische Projektbegleitung. 25 Studenten arbeiteten zum Thema Glück. Und wie sieht Karin Koch selbst das Glück: "Mir wird es oft zu vordergründig und materialisiert gesehen", sagt sie und erklärt: "Glück wird aus einer Situation heraus in die Zukunft projiziert. Die stärkste Wahrnehmung von Glück passiert aber in dem Moment, in dem man es verliert." Karin Koch selbst brach 2004 ihre Zelte in Kamp-Lintfort ab und fand ihr Glück in der Großstadt Berlin. "Es ist eine tolle Stadt, in der ich meine Oase gefunden habe. Ich bin eben ein Großstadtmensch, kehre aber immer wieder gerne nach Kamp-Lintfort zurück."

(RP)
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