Heiligabend in Kamp-Lintfort Der Küster hütet die Kirchenschätze auf Kamp

Kamp-Lintfort · Die Abteikirche Kamp gibt Besuchern nicht all ihre Geheimnisse preis. Für Andreas Riedel öffnen sich jedoch alle Türen im Gotteshaus.

 Küster Andreas Riedel zeigt die wertvollen Messgewänder, die hinter verschlossenen Türen aufbewahrt werden.

Küster Andreas Riedel zeigt die wertvollen Messgewänder, die hinter verschlossenen Türen aufbewahrt werden.

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Die Schublade öffnet sich laut knarzend. Sie ruckelt und stockt, bis sie endlich ihren Inhalt preisgibt. „Der Schrank ist schon alt. Er ist von 1710“, sagt Küster Andreas Riedel und holt vorsichtig ein Messgewand aus der ungewöhnlich tiefen Lade. „Schauen Sie sich dieses schöne Gewand an. Es entstand 1721 und ist komplett mit Silberfäden durchwirkt. Das ist etwas ganz Besonderes.“ Mehr als 40 Gewänder werden in den massiv gebauten Schränken zwischen Seidenpapier und ordentlich gefaltet in der Abteikirche Kamp aufbewahrt, darunter wertvolle Barockgewänder mit kunstvollen Stickereien und dicht gewebten Brokat-Mustern in allen liturgischen Farben – in Weiß, Grün, Rot bis Violett. „Hier dieses ist von 1870“, sagt Andreas Riedel und zeigt ein weiteres. Er ist der Hüter eines Kirchenschatzes, der nicht für jedermann zugänglich ist.

Einige 1000 Besucher lockt die Abteikirche des Klosters Kamp jedes Jahr auf den Berg. Sie erleben in Gottesdiensten und in Führungen die schlichte Schönheit der dreischiffigen Hallenkirche mit ihrer Marienkapelle, den Figuren, Reliquien und vielen anderen Kunstschätzen. All ihre Geheimnisse offenbart die Kirche, deren erster Bau auf die Zeit um 1150 datiert ist und deren Wiederaufbau ab 1683 begann, den Besuchern und Touristen aber nicht. Andreas Riedel gehört zu den wenigen, für die sich alle Türen im Gotteshaus öffnen: zur Sakristei, Orgelempore bis auf die Turmspitze. Er ist seit 2005 Küster und kennt die Abteikirche wie seine Westentasche.

„Vom Heizungskeller bis zum Wetterhahn“, betont er stolz. Die Messgewänder, die Riedel mit großer Vorsicht in die Schublade zurücklegt, werden regelmäßig und sorgsam kontrolliert. „Das Bistum Münster hat ein Auge darauf. Es schickt alle zwei Jahre seine Experten, die darauf achten, ob alles vollständig ist und die Gewänder ordentlich und geschützt gelagert sind“, sagt Riedel und zieht kurz darauf ein Velum hervor, das 1710 in Handarbeit entstand. Er erfreut sich an den Kostbarkeiten, die die Abteikirche bewahrt. Nur einige wenige Messgewänder sind gegenüber im Klostermuseum ausgestellt. Riedels Lebenslauf ist eng mit der Klosterkirche verbunden. Geboren in Kamp, wurde er dort getauft und ging zur Erstkommunion und zur Firmung. Er war Messdiener und übernahm schon als Schüler erste kirchliche Dienste. „Ich habe mir hier Feriengeld verdient, indem ich dem damaligen Küster Jakob Püttmann zur Hand gegangen bin“, erinnert er sich. Abteikirche und Kloster Kamp, die der Orden der Zisterzienser begründete, sind für ihn ein besonderer Ort.

„Man weiß, wo man hier Zuhause ist“, betont er die Bedeutung des altehrwürdigen Ortes. Sein beruflicher Weg führte ihn dennoch zunächst in eine andere Richtung. Nach der Schule wurde er Postbeamter. „In meinem Elternhaus befand sich das erste Postamt auf Kamp. Meine Großmutter und meine Eltern waren schon bei der Bundespost beschäftigt.“ Die Abteikirche verlor Andreas Riedel nie aus dem Blick. Nebenberuflich ließ er sich zum Küster ausbilden, zuerst einige Jahre in der Marien-Basilika zu Kevelaer, später in Münster. Als er 2004 bei der Post ausschied, war es Pater Georg, der ihn ermunterte, das Küsteramt in der Abteikirche zu übernehmen. „In einer so berühmten Kirche ist man immer im Einsatz, 365 Tage im Jahr, bei Beerdigungen, Hochzeiten, zu Weihnachten und Ostern und, und, und“, erzählt Riedel. Es ist ein Amt, das ihm große Freude bereitet. Als Küster ist er für die Instandhaltung der Kirche zuständig. Er bereitet die Messen vor, pflegt Kelche und die wertvollen Messgewänder.

Einer seiner Lieblingsorte in der Abteikirche ist die Sakristei, ein bescheiden eingerichteter Raum, der ebenso wenig für Besucher zugänglich ist. „Ich ziehe mich gerne in den Raum zurück. Hier habe ich meine Ruhe“, erklärt er und kann von dort aus doch das Geschehen im Gotteshaus beobachten. „Es ist videoüberwacht. Die Abteikirche ist berühmt und lockt die Besucher an.“ Nicht selten muss er einschreiten und dafür sorgen, dass sich die Besucher an die Kirchenordnung halten. Riedel hat da schon so einiges erlebt, sogar Fotoshootings am Altar. Manchmal zieht er sich einen Talar über, damit die Besucher merken, dass eine Aufsicht vor Ort ist. Für ihn öffnet sich nicht nur die Tür zur Sakristei, sondern auch zur Orgelbühne. Dort wird der Abteikirchenchor an Weihnachten wieder singen. „Es ist mein liebster Ort“, sagt der Küster, zu dessen Aufgaben es gehört, die Orgel regelmäßig zu stimmen. Die Empore, die aus der Zeit um 1720 stammt, wird zurzeit zum ersten Mal saniert. „Sie geht wie vieles in der Abteikirche auf Abt Wilhelmus III. Norff aus Rheinberg zurück.

Sein Wappen ziert noch heute die Orgelbühne“, weiß der Küster. „Das Holz arbeitet an manchen Tagen so laut, dass man manchmal hier oben meint, es sei noch jemand in der Kirche, obwohl man ganz allein ist“, erzählt Andreas Riedel. Zwei- bis dreimal im Jahr geht es für ihn noch höher hinaus als auf die Empore. Auf schmalen Stiegen klettert er dann an den massiven Holzbalken des Dachs vorbei bis ins 25 bis 30 Meter hohe Türmchen mit seiner weißen Balustrade, das Besucher nur von unten aus sehen können. Wenn er dort oben nach dem Rechten sieht, genießt er die weitläufige Aussicht auf den Kamper Berg. Und auch auf dem Dachboden kennt er jeden Winkel. Dort bewahrt die Gemeinde die Krippenfiguren auf, die zu Weihnachten in den Kirchenraum getragen und unter der Orgelbühne aufgestellt werden. 34 Figuren sind es, die dort in Holzkisten verstaut sind. Die Krippenfiguren, die laut Riedel 1891 fertiggestellt wurden, stammen aus der Werkstatt einer Künstlergemeinschaft um Jakob Holtmann aus Winnekendonk. Nie wird der Küster das Jahr vergessen, in dem er das Christuskind vergeblich auf dem Dachboden suchte: „Es war nicht mehr dort.“ Überall wurde nachgeschaut, niemand wusste, wo es sein könnte, „Weihnachten ohne Christkind. Wie furchtbar!“ Die Holzkiste wurde doch noch gefunden: auf dem Regal einer Schreinerei, darin die geschnitzte Jesu-Figur. Sie war zur Ausbesserung dort und wartete ein Jahr lang darauf, abgeholt zu werden. Andreas Riedel war erleichtert: „Zum Glück war unser Hauptdarsteller wieder da.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort