Kaarst Mutter kämpft weiter für MS-kranke Kinder

Kaarst · Nachdem bei ihrer Tochter Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert wurde, hat Silke Groll ein preisgekröntes Internetforum gegründet. Dort hilft sie betroffenen Familien - zum Beispiel beim Durchsetzen von Anträgen bei den Krankenkassen.

 Die Tablette, die Silke Groll zeigt, ist in Deutschland bislang nur für erwachsene MS-Patienten zugelassen. Zugleich ist es das Präparat, das ihrer 17 Jahre alten Tochter am besten hilft. Die Haftung hat der behandelnde Arzt übernommen.

Die Tablette, die Silke Groll zeigt, ist in Deutschland bislang nur für erwachsene MS-Patienten zugelassen. Zugleich ist es das Präparat, das ihrer 17 Jahre alten Tochter am besten hilft. Die Haftung hat der behandelnde Arzt übernommen.

Foto: ati

Die kleine Pille, die Silke Groll in der Hand hält, kostet in etwa so viel wie eine handelsübliche Flasche Champagner, also rund 40 Euro pro Stück. Zwei davon benötigt ihre Tochter täglich, um ihre Krankheit halbwegs in Schach zu halten. Die 17-Jährige leidet unter Multiple Sklerose (MS). MS ist die einfache Abkürzung für eine schwere und nach wie vor nicht heilbare Krankheit. Sinngemäß bedeutet Multiple Sklerose so viel wie "viele harte Narben".

Diese Narben sitzen auf Nervenleitungen, die die Befehle vom Gehirn an den Körper weitergeben. Ungefähr 200 000 Menschen leiden nach neuesten Schätzungen in Deutschland unter dieser chronisch-entzündlichen Erkrankung des Gehirns und des Rückenmarks. Am häufigsten tritt sie um das 30. Lebensjahr herum auf. Bis zu fünf Prozent aller MS-Patienten erkranken allerdings schon vor dem 16. Lebensjahr, die jüngsten sind gerade mal drei Jahre alt.

Die Symptome kommen in Schüben. Dabei sind Lähmungserscheinungen, Sehstörungen, Müdigkeit und Depressionen bei Kindern viel häufiger als bei Erwachsenen. Wer erkrankt ist, muss starke Medikamente nehmen. Das Problem ist: Für Patienten unter 18 Jahren gibt es in Deutschland kaum wirksame Präparate. "Die Krankenkassen", sagt Dr. Uwe Meier, MS-Spezialist im Neuro-Centrum am Kreiskrankenhaus Grevenbroich, "sind nur dann zur Zahlung verpflichtet, wenn das Medikament, mit dem behandelt wird, auch zugelassen ist."

Das, erklärt der Experte, liege zum einen an extrem aufwendigen Zulassungsverfahren in Deutschland, habe aber auch praktische, ethische und rechtliche Gründe. "Für Medikamentenstudien werden in der Regel tausende von Patienten benötigt. Weil die kindliche MS - auch, wenn die Fallzahlen steigen - eine relativ seltene Erkrankung ist, ist es allein schon deshalb schwer, an minderjährige Studienteilnehmer zu kommen. Der Pharmaindustrie kann man da nur bedingt einen Vorwurf machen." Die Situation, sagt Meier, sei vielmehr ein Kollateralschaden des harten, auf den Schutz der Patienten ausgelegten Arzneimittelgesetzes in Deutschland.

Silke Groll weiß aus eigener Erfahrung, dass genau diese Situation für Familien mit MS-kranken Kindern schnell zum existenzbedrohenden Problem werden kann. "Auf der einen Seite müssen die teueren Medikamente unter Umständen monatelang aus eigener Tasche bezahlt werden, bis die Krankenkasse die Zahlung eines nicht zugelassenen Medikaments bewilligt. Auf der anderen Seite hat man zu Hause ein krankes Kind, das, wenn es ihm schlecht geht, nicht alleine gelassen werden kann. Ich kenne Mütter, die deshalb ihren Job verloren haben", sagt Groll.

Über ihr im Dezember 2013 mit dem Hertie-Preis für Engagement und Selbsthilfe ausgezeichnetes Facebook-Form "Kinder und Jugendliche mit Multipler Sklerose" hilft die Kaarsterin, die selber zwei Jobs hat und vor kurzem auf dem deutschen Neurologenkongress in München geehrt wurde, den Betroffenen, wo sie kann. Sie beruhigt, gibt Ratschläge, vermittelt Ärzte und Helfer, führt Telefonate mit Krankenkassen und holt zur Not auch Kinder in Extremsituationen irgendwo spät in der Nacht ab - ganz alleine und ehrenamtlich. Neurologe Uwe Meier fungiert als Berater im Hintergrund. Inzwischen hat das Forum Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Der Erfolg", sagt Silke Groll, "freut mich natürlich. Was wir aber ganz dringend brauchen, ist Unterstützung."

(NGZ)
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