Charlotte Knobloch im Interview „Erfolge der AfD müssen uns Sorgen machen“

Kaarst · Vor ihrer Festrede beim Neujahrsempfang der CDU haben wir mit der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden gesprochen.

 Charlotte Knobloch wird am Sonntag die Festrede beim Neujahrsempfang der Christdemokraten halten. Seit 1985 ist sie die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Charlotte Knobloch wird am Sonntag die Festrede beim Neujahrsempfang der Christdemokraten halten. Seit 1985 ist sie die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Foto: dpa/Lino Mirgeler

Vor ihrem Besuch beim Neujahrsempfang der CDU Kaarst am Sonntag (13. Januar) haben wir mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München, über die Situation der Juden und den Rechtsruck in Deutschland gesprochen.

Ist Deutschland in den letzten Jahren wieder nach rechts gerückt?

Charlotte Knobloch Wir haben das Erstarken einer Partei am äußersten rechten Rand erlebt, die in vielen Punkten die Agenda setzt und die öffentliche Debatte bestimmt. Ihre Erfolge an der Wahlurne müssen uns allen große Sorgen machen. Davon, dass das ganze Land nach rechts gerückt sei, will ich dennoch nicht sprechen. Dafür ist der Widerstand gegen die Positionen der AfD zu breit, er zeigt sich parteiübergreifend in den Parlamenten ebenso wie in der Gesellschaft.

Warum sind gerade die Juden in den Augen der Rechten ein Problem?

Knobloch Hier ist aus dem christlichen Gedanken von den Juden als „Gottesmörder“ mit der Zeit eine rassische und kulturelle Ablehnung geworden. Die Kirche hat sich von ihren judenfeindlichen Anfängen längst verabschiedet, doch die „jüdische Weltverschwörung“ ist unter Rechtsextremen bis heute ein beliebtes Bild. Auch die unzähligen Verschwörungstheorien, die heute in Sozialen Medien verbreitet werden, landen häufig schon nach wenigen Wendungen beim Antisemitismus. So setzt sich der Judenhass immer weiter fort.

Gibt es ein Antisemitismus-Problem in diesem Land?

Knobloch Man muss sich zunächst einmal klarmachen, dass der Judenhass in Deutschland 1945 nicht einfach verschwunden ist: Die Menschen, die ihn getragen haben, waren ja zumeist noch da. Antisemitisches Gedankengut konnte direkt oder indirekt weitergegeben werden, und vieles von dem, was wir heute erleben, baut darauf auf. Heute ist Antisemitismus – Gott sei Dank – geächtet. Doch das Problem besteht fort, wie wir an vielen Stellen sehen – vom israelbezogenen Antisemitismus vieler junger Muslime bis zu den völkischen Einlassungen bedeutender AfD-Politiker. Für die jüdische Gemeinschaft hat sich die Lage hier in den vergangenen Jahren merklich zugespitzt, auch wenn sie glücklicherweise noch nicht so dramatisch ist wie in vielen anderen Ländern Europas.

Was kann die Gesellschaft dagegen tun? Was kann die Politik dagegen tun – außer reden?

Knobloch Was ich bis heute vermisse, ist der große Aufschrei gegen Antisemitismus aus Politik und Gesellschaft. Jahrzehntelang wurde wiederholt, dass Judenhass in diesem Land keinen Platz hat, und trotzdem ist dieses Thema so aktuell wie eh und je. Das kann nicht sein. Konkret wünsche ich mir drei Dinge.

Welche?

Knobloch Erstens: ein starkes und geeintes Vorgehen gegen antidemokratische Kräfte von rechts. Die wehrhafte Demokratie muss sich hier mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wehren. Zweitens braucht es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass, wie Ahmad Mansour es ausdrückt, „die Existenz Israels nicht verhandelbar ist“. Das mag selbstverständlich klingen, doch entlädt sich auf diesem Weg bis heute unglaublich viel Judenhass. Drittens ist die demokratische Bildung entscheidend. Die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit und die Demokratieerziehung müssen in der anbrechenden „Zeit ohne Zeitzeugen“ an den Schulen noch stärker verbunden und betont werden. Die nachfolgenden Generationen müssen ihr Land und ihre Demokratie wertschätzen lernen und wissen, was zwischen den Jahren 1933 und 1945 vorgefallen ist, um später Verantwortung übernehmen zu können.

Was sind die Herausforderungen für jüdisches Leben in Deutschland 2019?

Knobloch Im Jahr 2019 kämpfen wir weiterhin gegen das Absinken der Hemmschwellen. Antidemokratisches und antisemitisches Gedankengut gehen oft Hand in Hand, und beides ist leider noch immer auf dem Vormarsch. Dass die AfD jetzt in allen Landtagen sitzt, ist ein Armutszeugnis. Wir müssen alle daran arbeiten, dass dies kein Dauerzustand wird.

Wo können Juden in Deutschland noch in Frieden leben?

Knobloch Ich kann als Präsidentin der Münchner Kultusgemeinde vor allem für Südbayern sprechen, wo die Sicherheitslage glücklicherweise gut ist. Grundsätzlich ist ganz Deutschland auch weiterhin ein sicheres Land für jüdisches Leben. Die Frage ist eher, wie lange noch.

Was raten Sie Juden, die angefeindet werden?

Knobloch Wer Antisemitismus erlebt, sollte das unbedingt melden – an die Polizei, seine Gemeinde oder an eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle. Unser Ziel muss es aber bleiben, dass jüdische Menschen solche Situationen nicht mehr erleben müssen.

Stephan Seeger stellte die Fragen.

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