Interview mit Bassam Tibi „Den einheitlichen Islam gibt es nicht“

Kaarst · Bassam Tibi hat den Begriff „Leitkultur“ geprägt. Im Interview spricht er über seine Definition von Leitkultur. Am Dienstag, 10. März, ist er in Kaarst zu Gast.

Bassam Tibi hält am Dienstag, 10. März, in der Rathaus-Galerie einen Vortrag zum Thema „Islamische Zuwanderung und ihre Folgen“. Die Veranstaltung wird von der Stadt Kaarst in Kooperation mit der VHS Kaarst-Korschenbroich angeboten.

Bassam Tibi hält am Dienstag, 10. März, in der Rathaus-Galerie einen Vortrag zum Thema „Islamische Zuwanderung und ihre Folgen“. Die Veranstaltung wird von der Stadt Kaarst in Kooperation mit der VHS Kaarst-Korschenbroich angeboten.

Foto: VHS Kaarst

Herr Tibi, von Ihnen stammt der Begriff „Leitkultur“. Was bedeutet er?

Bassam Tibi Leitkultur ist eine wertebezogene Hausordnung für das friedliche Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen.

Gibt es in Deutschland auch eine Leitkultur?

Tibi Ja, es gibt eine deutsche Leitkultur. Diese wird oft als christlich definiert und nach deutschen Sitten und Bräuchen. Ich als Moslem sehe die deutsche Leitkultur aber kritisch.

Was verstehen die Deutschen am Islam nicht?

Tibi Den einheitlichen Islam gibt es nicht, er ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Die Deutschen verstehen nicht, dass es einen Unterschied zwischen spirituellem Glauben und einer Deutung des Islam als Rechtssystem gibt. Islamisten definieren Islam als eine politische Ordnung. Das lehne ich ab, für mich ist das Rechtssystem das Grundgesetz.

Gehört der Islam zu Deutschland?

Tibi Die Frage ist falsch. Es muss heißen: Welcher Islam gehört zu Deutschland? Ein Grundgesetz-kompatibler Islam gehört zu Deutschland. Die Politik wird nicht in der Moschee gemacht, sondern im Parlament. Politik und Religion müssen getrennt werden.

Wo versagt die deutsche Migrationspolitik und was sind die Folgen?

Tibi Es gibt kein Konzept für Migration und Integration. Sprachkurse haben nichts mit Integration zu tun. Die größten Gemeinschaften in Berlin sind Türken und Libanesen. Die Leute sind teilweise in der dritten Generation und sind immer noch nicht integriert. Integration heißt, dass man sich zugehörig fühlt.

Sie sind in Damaskus aufgewachsen. Haben Sie dort auch Antisemitismus erlebt?

Tibi Antisemitismus gehört im Nahen Osten dazu, da ist fast jeder Antisemit. Die Mehrheit der Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, sind Antisemiten. Es gibt drei Quellen des Antisemitismus: Die Nazis, den linken Antisemitismus verdeckt als Israel-Kritik und den islamischen Antisemitismus. Ich bin Mitbegründer des jüdisch-islamischen Dialogs und habe es zu meiner Lebensaufgabe gemacht, gegen jede Art des Antisemitismus zu kämpfen.

Vor fünf Jahren schwappte die Flüchtlingswelle nach Deutschland. Wie weit ist das Land mittlerweile im Hinblick auf die Integration?

Tibi Integration gibt es fast nicht. Es gibt drei Formen von Parallelgesellschaften in Deutschland: eine türkische, eine kurdische und eine pakistanische. Und jetzt entsteht eine arabische. Ich beobachte die Anfänge dieser Parallelgesellschaft mit Sorge, das muss man ernst nehmen. Dagegen muss man etwas tun.

Politiker sind nach rassistischen Anschlägen wie zuletzt in Hanau immer geschockt und drücken den Opfern ihr Mitleid aus. Reicht Ihnen das?

Tibi Schnelle Mitleids-Rhetorik hilft nicht weiter, dafür können sich die Opfer nichts kaufen. Wir brauchen Taten, die struktureller Natur sind. Im Englischen gibt es den Begriff „First class ticket to nowhere“. Genau das ist die Mitleid-Rhetorik.

Sie haben überall auf der Welt gelehrt. Wo haben Sie sich am wohlsten gefühlt, wo nicht?

Tibi In den USA. Dort gibt es eine kulturelle Vielfalt, ich werde angenommen als einer, der dazu gehört.

Es gibt zwei Länder, wo ich nicht mehr hinreisen werde: Sudan und Nigeria. Im Sudan ist es der Rassismus, in Nigeria die Kriminalität, die mich abschreckt.

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