Kaarst "Die Russen machen ihr eigenes Ding"

Kaarst · Im Rahmen der Reihe "Dialog Zukunft" analysierte die Politologin Sylke Tempel die politische Weltlage.

 Sylke Tempel war zum "Dialog Zukunft" in Kaarst zu Gast.

Sylke Tempel war zum "Dialog Zukunft" in Kaarst zu Gast.

Foto: salz

Sylke Tempel ist seit neun Jahren Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik". Im Rahmen der Reihe "Dialog Zukunft" gab die 54-Jährige Einschätzungen zur aktuellen politischen Situation in Zeiten von Trump, Putin und Erdogan. Wird Deutschland der neue liberale Hegemon, wie die "New York Times" vermutet?

"Außenpolitik wurde noch nie so intensiv diskutiert wie zurzeit", so Tempel. Und sie sollte rund eine Stunde Klartext sprechen, in der anschließenden Diskussion Meinungen widerlegen. So sprach sie von einem "Jahrzehnt der Illusion": "Man war davon ausgegangen, dass Globalisierung zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse führen würde, zu mehr Teilhabe und damit zu mehr Demokratie." Als Zäsur bezeichnete sie die Krim-Annexion vor drei Jahren: "Damit hat Putin zum Ausdruck gebracht, dass die Russen ihr eigenes Ding machen, dass sie mit unseren Werten nichts am Hut haben."

Sylke Tempel beklagte den Brexit, hat aber zufrieden zur Kenntnis genommen, dass der befürchtete Dominoeffekt nicht eintrat. Sie hofft, dass Macron Frankreich durch radikale Reformen stärken kann: "Schwächelnde Griechen können wir uns auf Dauer leisten, nicht aber schwache Volkswirtschaften in Ländern wie Frankreich oder Italien." Ihr Credo: "Wir kommen militärisch nicht ohne die Amerikaner aus." Europa habe keine nukleare Abschreckung, die Waffensysteme seien nicht kompatibel. Von Trump hält sie nichts, von ihm erwartet sie nichts: "Er hat keinerlei Sinn für die transatlantischen Beziehungen." Die Hoffnung, das Amt werde ihn formen und mäßigen, habe sich als naiv herausgestellt. Längst sei das Gefühl der 90er Jahre verschwunden, unter Freunden zu leben: "Unsere Nachbarn sind beispielsweise die Ukraine, Weißrussland, die Türkei und Nordafrika", gab Sylke Tempel zu bedenken. Die aktuelle Situation verglich die Referentin mit Eheleuten, die in Scheidung leben: "Man muss sich neue Bezugspersonen suchen." Auf die Außenpolitik übertragen, könne das bedeuten, dass in Bezug auf den Klimaschutz China ein neuer Partner sei.

Die Europäische Union ist für sie längst kein Auslaufmodell. Sylke Tempel hatte viele Tipps parat: "Wir dürfen Ländern wie Ungarn und Polen keine Flüchtlinge aufzwingen." Sie mahnte "ein geduldiges Auseinanderfummeln von Problemen" an, warb dafür, sich mit Teilerfolgen zufrieden zu geben, auf Rückschläge vorbereitet zu sein - und nicht auf den "großen Wurf" zu warten. Dass Merkel und Schulz bei ihrem Fernsehduell nicht aggressiv miteinander umgehen, findet sie gut: "Wir haben hier zu Glück nicht die Polarisierung wie beispielsweise in den USA, aber auch in Frankreich."

(NGZ)
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