Kaarst Der Fall Daniel D. - Mehr Fragen als Antworten

Kaarst · Am Montag geht vor dem Landgericht voraussichtlich der Prozess um eines der rätselhaftesten Verbrechen der vergangenen Jahre zu Ende. Noch immer sind viele wichtige Fragen unbeantwortet.

Prozessauftakt im Fall Daniel D. aus Kaarst
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Prozessauftakt im Fall Daniel D. aus Kaarst

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Wenn das Landgericht Düsseldorf am Montag ein Urteil im Prozess um das Gewaltverbrechen an der K 37 spricht, dann geht für die Eltern des getöteten Versicherungskaufmanns Daniel D. (35) eine schwierige Zeit zu Ende. Neun Verhandlungstage lang haben sie als Nebenkläger im Gerichtssaal gesessen und darauf gehofft, dass ihr Neffe endlich sein Schweigen bricht - vergebens. Die Staatsanwaltschaft hat den Aushilfssportlehrer aus Korschenbroich, der bis zu seiner Verhaftung an einem Gymnasium in Willich beschäftigt war, wegen Totschlags an seinem Cousin angeklagt. Der 28-Jährige soll Daniel D. auf brutale Art und Weise erschlagen haben. Bislang hat er sich nicht geäußert - weder zum Tatvorwurf, noch zu seinem Leben, über dessen dunkle Geheimnisse seine eigene Familie erst durch die Ermittlungen erfuhr. Unsere Redaktion hat den rätselhaften Fall, der wie ein Kriminalroman anmutet, noch einmal vom Anfang bis zum vorläufigen Ende zusammengefasst.

Der Tattag Es ist der 11. Dezember 2013. Eine Autofahrerin meldet der Polizei um 22.16 Uhr zunächst einen vermeintlichen Verkehrsunfall. Rettungskräfte finden den Dormagener Daniel D., der als Sachbearbeiter bei einer Versicherung in Köln arbeitete und in Korschenbroich "Garten an Garten" mit dem Angeklagten aufwuchs, an der K 37 tot neben seinem Auto liegend. Das Fahrzeug, ein schwarzer Audi, ist in Fahrtrichtung Holzbüttgen auf der rechten Fahrbahnseite abgestellt - etwa 40 Meter hinter der Einmündung zur L 381. Warum D. an genau dieser Stelle, an einer unbeleuchteten Kreisstraße direkt hinter einer Kreuzung nahe der Braunsmühle, anhielt, ist eine der vielen nach wie vor ungeklärten Fragen in diesem Fall. Zeugen, die vor der Tat an der Stelle vorbeikamen, berichten später, zwei Männer hätten mit Taschenlampen etwas im Gebüsch gesucht. Auffällig ist auch: Obwohl Opfer und Angeklagter am Tattag, anders als üblich, mehr a ls 20 Mal miteinander telefonierten, waren beide Handys zur Tatzeit nicht in der Funkzelle am Tatort eingeloggt.

Die Ermittlungen Unmittelbar nach der Tat tappen die Ermittler der "Mordkommission Mühle" zunächst im Dunkeln. Eine Hundertschaft sucht die an den Tatort angrenzenden Felder in Büttgen nach der Tatwaffe ab. Mittlerweile steht fest: Daniel D. wurde erschlagen, mit einem stumpfen, scharfkantigen Gegenstand - so brutal, dass die Kripo im ersten Moment von einem Kopfschuss ausging. Gefunden ist die Tatwaffe bis heute nicht. Aber: Anfang Januar ergibt sich die erste heiße Spur. Auf Plakaten und über die Medien sucht die Polizei nach einem silbernen Golf und einer männlichen Person. Das Auto wurde zur Tatzeit von mehreren Zeugen auf der anderen Seite der Landstraße, an der Zufahrt zur Baumschule Schmitz, gesehen. Später stellt sich heraus, dass der Angeklagte genau so einen Wagen fuhr. Der Golf bringt die Mordkommission auf die Fährte. Am 8. Januar durchsuchen Beamte ein Einfamilienhaus in Korschenbroich, am 9. verkünden Chefermittler Andreas Nickesen und Staatsanwalt Matthias Ridder die Ermittlung eines Tatverdächtigen.

Der Golf Der Mann, heißt es zunächst, stamme aus dem persönlichen Umfeld des Opfers. Kurze Zeit später steht fest: Es ist der Cousin. Dreimal wurde der 28-Jährige als Zeuge vernommen, bevor ihn die Polizei auffordert, sein Auto für Untersuchungen zur Verfügung zu stellen. Im Innenraum stellen die Beamten Verdächtiges fest: Der Fahrergurt ist herausgetrennt, der Fahrersitz mit Benzin getränkt. Doch vor allem die Erklärungsversuche des 28-Jährigen machen die Ermittler stutzig. Schüler, behauptet der Aushilfssportlehrer, seien am Tag der Wagenvorführung in sein verschlossenes, an der Schule in Willich geparktes Fahrzeug eingedrungen und hätten Gurt und Fahrersitz manipuliert. Für einen dringenden Tatverdacht reichen die Indizien zu diesem Zeitpunkt trotzdem nicht aus. Erst eine Woche später klickten die Handschellen. Kriminaltechniker haben Blutspuren des Opfers an mehreren Stellen im Wagen sichergestellt, unter anderem auf dem Fahrersitz. Im Haus des Angeklagten schlagen Leichenspürhunde an einer Wasserlache in der Waschküche an. Die Waschmaschine wurde durch eine neue ersetzt. Die Polizei nimmt den 28-Jährigen in der Wohnung seiner Freundin in Duisburg fest. Seither sitzt der Sportstudent in Untersuchungshaft. Was die Ermittlungen danach über sein Leben zutage fördern, macht selbst seine Familie sprachlos.

Die Nacktfotos Bis zu seiner Festnahme wohnte der Angeklagte im Haus seiner verstorbenen Großeltern, neben seiner Mutter und nur wenige Straßen vom Haus der Familie D. entfernt. Bei der Durchsuchung der Wohnung stoßen die Beamten unter anderem auf Fotos von leicht bekleideten und nackten Schülerinnen, die der Sportlehrer auf seinem Computer hortete. Auch ein heimlich aufgezeichnetes Video aus einer Umkleidekabine ist auf der Festplatte gespeichert. Eine Sprecherin des Schulträgers bestätigt, dass es an dem Gymnasium, an dem der 28-Jährige seit 2009 beschäftigt war, im Jahr 2011 Fälle von Belästigungen gegeben hat. Ob Daniel D. von der job- und rufgefährdenden Fotosammlung seines Cousins wusste, konnten die Ermittler auf der Suche nach einem Tatmotiv nicht aufklären - dafür aber eine Lebenslüge.

Die Studienlüge Der Korschenbroicher studierte Sport und Geschichte auf Lehramt, das allerdings nicht besonders erfolgreich. Auf seinem Computer findet die Polizei nicht nur Nacktfotos, sondern auch eindeutige Hiweise darauf, dass sich der Langzeitstudent seinen Job als Aushilfslehrer mit gefälschten Studienbescheinigungen erschlichen hat. Eine Dozentin, das geht aus E-Mails hervor, soll sie ihm gegen Sex beschafft haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Hochschullehrerin wegen Bestechlichkeit. Ob das zu scheitern drohende Studium oder die Affäre - eine von vielen - ein Motiv für die Tat waren, bleibt Spekulation. Immer wieder sei der angeblich unmittelbar bevorstehende Abschluss Thema in der Familie gewesen, berichten seine Mutter und die Eltern D. vor Gericht. Der 28-Jährige, den alle für einen halbwegs zielstrebigen Studenten hielten, habe auf das Thema meistens gereizt reagiert. Sein Cousin Daniel sollte darüber von Mann zu Mann mit ihm sprechen. Gut möglich, dass er dabei auf eine "offene Flanke" stieß.

Der Abschiedsbrief Abgesehen davon gibt es weitere Ungereimtheiten. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Mutter und der Freundin des Angeklagten beim Ausräumen seiner Wohnung eine Spielzeugpistole und ein gefälschter Abschiedsbrief, versteckt unter einem Stapel Pullover, in die Hände fallen. Das Schreiben, in dem die Schwester der Freundin ihren vermeintlichen Suizid ankündigt und damit begründet, keine Lust mehr auf Lügereien zu haben, scheint der 28-Jährige gefälscht zu haben. Hat der Brief etwas mit der Bluttat zu tun? Daniels Eltern gehen davon aus, dass ihr Neffe ihren Sohn, der am Tatabend nach einem letzten Telefonat mit dem Angeklagten überstürzt von zu Hause aufbrach, unter einem Vorwand zum Tatort gelockt hat. Möglicherweise, sagen sie, habe er, wie bereits in der Vergangenheit, mit seinem eigenen Selbstmord gedroht.

Der Zeuge Fakt ist: Der Angeklagte hat kein Alibi. Einen Hinweis auf die Identität des Täters kann auch ein 54 Jahre alter Koch liefern. Er identifizierte den 28-Jährigen bei der Polizei und vor Gericht auf einer von insgesamt zehn Fotografien. Gesehen habe er zwei Männer, die am Straßenrand standen, sagt er. "Als mir bei der Polizei die Fotos vorgelegt wurden, dachte ich: ,Diese Person hast Du schon mal gesehen?."

(RP)
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