Jüchen "Mehr Senioren brauchen Sozialhilfe"

Grevenbroich · John Esser (37) leitet seit mehr als hundert Tagen das Seniorenheim "Haus Maria Frieden". In der ambulanten Pflege rechnet er mit Veränderungen, etwa durch Wohngemeinschaften. Die Wünsche der Bewohner ändern sich. Internet wird verlangt.

 John Esser leitet seit gut hundert Tagen das "Haus Maria Frieden" in Jüchen. Er sieht die Pflegeeinrichtungen vor zahlreichen Anforderungen.

John Esser leitet seit gut hundert Tagen das "Haus Maria Frieden" in Jüchen. Er sieht die Pflegeeinrichtungen vor zahlreichen Anforderungen.

Foto: Georg Salzburg

Die Zahl der Senioren wird auch in Jüchen steigen. Was bedeutet dies für eine seit vielen Jahren stehende Einrichtung wie "Haus Maria Frieden"?

John Esser Der demografische Wandel wird sich bemerkbar machen, doch nicht alle Senioren werden die Pflege in einer vollstationären Einrichtung nutzen. Die Landesregierung hat mit der jüngsten Gesetzgebung die ambulante Pflege deutlich gestärkt. Jetzt müssen sich einzelne Pflegeeinrichtungen Gedanken darüber machen, wie zukünftig das Leistungsangebot aussehen kann, um den Bedürfnissen der Senioren und den Vorgaben des Gesetzgebers gerecht zu werden. Denkbar sind eine Öffnung für den ambulanten Pflegemarkt in Form von Wohngemeinschaften oder Service-Wohneinheiten (ehemals "Betreutes Wohnen"). Das künftige Angebot wird sich deutlich an der Nachfrage orientieren.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Esser Es wird eine große Herausforderung sein, den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Die Anforderungen an die Pflege sind stetig gestiegen. Ohne Fachpersonal, das etwa gerontopsychiatrisch oder palliativ-medizinisch besonders geschult ist, wird das Pflegeangebot kaum attraktiv zu gestalten sein. Neben den Schulungen müssen auch nachhaltige Konzepte erarbeitet und implementiert werden. Wir haben all dies bereits umgesetzt und befinden uns auf einem sehr guten Weg, obwohl die Schere zwischen Anforderungen und Ressourcen weit auseinander klafft. Dass es trotzdem gelingen kann, verdanken wir auch unseren Mitarbeitern, die mit großem Einsatz und viel Leidenschaft an solche Herausforderungen herangehen. Wichtig ist es, Angehörige in unsere Arbeit einzubeziehen, gerade bei der Palliativ-Versorgung. Als Arbeitgeber wird das Thema Personalbindung eine bedeutende Rolle einnehmen. Die Pflegebranche kämpft seit einiger Zeit mit einem ausgesprochenen Fachkräftemangel. Verschärft wird die Situation durch die stark gestiegene Anzahl an Pflegeheimen im Rhein-Kreis Neuss.

Haben sich die Wünsche der Senioren verändert?

Esser Wir stellen fest, dass neue Bewohner häufiger aus späten Jahrgängen kommen und demnach andere Interessen und Wünsche haben. Das fängt schon mit der Frage nach einem Internet-Anschluss auf dem Bewohnerzimmer an. Noch handelt es sich dabei um Einzelfälle, aber die Generation, die mit PC, Laptop und MP3-Player Bekanntschaft gemacht hat, wird immer öfter vertreten sein. Daneben ist den Bewohnern eine Verbindung zum Gemeindeleben wichtig, sehr gut kommen Gemeinschaftsveranstaltungen etwa mit Kindergärten an.

Der Fall von "Opa Emil", der seine Heimkosten nicht bestreiten kann, hat ja für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Ein Einzelfall?

Esser Grundsätzlich kommt es immer auf den Einzelfall an. Wenn ein Bewohner einen Antrag auf Sozialhilfe stellt, prüft das Sozialamt dessen persönliche Situation umfassend. Wenn tatsächlich kein verwertbares Vermögen mehr vorhanden ist, das Einkommen nicht ausreicht und auch es keine unterhaltspflichtigen Angehörigen gibt, ist die Gewährung von Sozialhilfe in der Regel unproblematisch. Problematisch wird es auch für die Einrichtung, wenn das Sozialamt bei der Prüfung der Vermögenssituation zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen für die Sozialhilfe nicht vorliegen. Vielen Bewohnern ist etwa nicht klar, dass Geldschenkungen durchaus zurückgefordert werden können, um zunächst den eigenen Bedarf zu decken.

Rechnen Sie damit, dass mehr Senioren auf Sozialhilfe angewiesen sind?

Esser Die älteren Jahrgänge haben oft nicht für die eigene Pflegebedürftigkeit vorgesorgt. Außer Altersrente und vielleicht einer Betriebsrente steht oftmals kein Einkommen zur Verfügung. Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt als Teilkaskoversicherung nicht alle Kosten einer Pflegebedürftigkeit ab. Von daher ist zunächst mit einem weiteren Anstieg der Bewohner, die ergänzend Sozialhilfeleistungen beziehen, zu rechnen. Eine private Pflegezusatzversicherung können nur sehr wenige Bewohner vorweisen.

DANIELA BUSCHKAMP FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(NGZ)
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