Tagebau in Jüchen Eine Spätschicht auf Absetzer 760

Jüchen · In 120 Metern Tiefe schüttet ein stählerner Koloss die Erdmassen auf, die am anderen Ende des Tagebaus weggebaggert wurden. In dem riesigen Absetzer steckt jede Menge Hightech. Wir waren bei einer Spätschicht dabei.

Jüchen: Eine Spätschicht auf dem Stahlkoloss
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Eine Spätschicht auf dem Stahlkoloss

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Foto: Christian Kandzorra

An der Wand hängen Mannschaftsbilder verschiedener Fußballclubs, auf dem Tisch stehen Tassen, im Hintergrund blubbert eine Kaffeemaschine. Nur ein leichtes, aber permanentes Vibrieren verrät, dass es sich keineswegs um einen normalen Pausenraum handelt: Es ist einer in luftiger Höhe und dennoch großer Tiefe, mitten im Nirgendwo, mitten im Tagebau Garzweiler. Auf Absetzer 760. Der Stahlkoloss zählt zu den größten seiner Klasse. 240.000 Kubikmeter Erde kann das Gerät an nur einem Tag verkippen.

Der Absetzer schüttet das wieder auf, was etwa 20 Minuten zuvor auf der anderen Seite des Tagebaus von Schaufelradbaggern abgetragen wurde. Betrieb herrscht auf dem 5600 Tonnen schweren Ungetüm rund um dir Uhr - 365 Tage im Jahr. "Eine Schicht dauert acht Stunden, ganz normal", sagt Andreas Walter. "Da muss man auch mal Pause machen." Er sitzt im Pausenraum auf einer Holzbank, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, und schüttet sich Kaffee in seine Tasse. Walter hat früher mal in einer Zeche gearbeitet, in der Edel-Anthrazit gefördert wurde. Der Übergang zu RWE Power sei "nahtlos" verlaufen. "Vom 31. März auf den 1. April 1997", weiß er noch ganz genau. Heute arbeitet er als Großgeräteführer im Tagebau Garzweiler und ist an diesem Tag einer von vier Männern, die auf Absetzer 760 die Spätschicht fahren.

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Rund 120 Meter unter der Abbaukante gibt es einiges zu tun: Das "ausgekohlte" Ende des Tagebaus muss verfüllt werden, heute von Verkippungssole 1 aus. Der Abwurf-Ausleger des 76 Meter hohen Riesen ist wiederum über einen Abhang gerichtet. Draußen ist es staubig, die Luft trocken. Der Weg zum Steuerstand des Absetzers führt über eine beeindruckende Konstruktion, die aus vielen Tausend Stahlstreben besteht. Es ist laut, im Innenleben des Kolosses surren Maschinen, ein Förderband saust mit trockenem, standfestem Sand durch den Absetzer - Nachschub zur Verkippung. Im Steuerstand hingegen ist es ruhiger. "Hereinspaziert", sagt Alexander Hamacher freundlich und hält die Türe zu der vergleichsweise kleinen Kanzel auf. Der 33-Jährige ist angehender Großgeräteführer und sitzt erst zum zweiten Mal am Steuer des Absetzers. Noch schauen ihm Andreas Walter und Ismail Yalcin über die Schulter, bald wird er alleine am Steuerstand sitzen.

Alles im Blick

"Von hier aus habe ich alles im Blick", erzählt Hamacher, der mehrere Joysticks und Knöpfe links, rechts und über sich hat. Außerdem gibt es Pedale und mehrere Monitore; über ein GPS-System kann er die Position des Geräts exakt feststellen. "Mit dem rechten Fuß gebe ich Gas", sagt er - und nimmt über Funk Kontakt zu Gruppenleiter Dietmar Pohl auf: Pohl steht unten in der Nähe des Abwurf-Auslegers und hat von dort aus allem im Blick.

Alexander Hamacher kündigt an: "Ich rolle jetzt ein paar Meter nach rechts." Dann setzt er mit einem Druck aufs Pedal und auf einen Steuerhebel 5600 Tonnen spielend leicht in Bewegung: Es knirscht, dann schaukelt es ein wenig. Der Absetzer beschleunigt. Schnelligkeit zählen nicht gerade zu den Stärken des Geräts. "Aber darauf kommt es bei uns nicht an. Hier zählt die Verkippungsleistung", erzählt Hamacher, der seine Prüfung zum Großgeräteführer vor wenigen Wochen bestanden hat. Vier Monate hat die Ausbildung gedauert, jetzt bewegt er die "ganz Großen" im Tagebau. Der Bedburger führt mit seiner Arbeit in der Braunkohlengrube eine Familientradition fort: "Mein Opa war schon hier - und mein Vater arbeitet als Hilfsgeräteführer im Tagebau." So hat auch er mal angefangen.

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Foto: Uwe Heldens

Faszination Tagebau

"Die Arbeit im Tagebau fasziniert mich", sagt er, wenn er auch um die Nachteile der Schichtarbeit weiß: Silvester etwa hat er auf einem der Großgeräte verbracht. "Vom Feuerwerk sieht man hier unten nicht allzu viel", merkt er schmunzelnd an. "Trotzdem mache ich das gerne." Oft hat der gelernte Dachdecker Probleme, Außenstehenden zu erklären, was er im Tagebau eigentlich genau macht. "Wir sorgen hier auf jeden Fall für Strom", sagt er, obwohl "sein" Gerät keine Braunkohle baggert. Trotzdem: Für den reibungslosen Tagebaubetrieb sind Absetzer unerlässlich. Wohin sonst mit den Abraummassen, die auf der Abbau-Seite anfallen? "Ohne Absetzer geht es nicht", betont Gruppenleiter Dietmar Pohl aus Frimmersdorf.

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Foto: Kandzorra

Der Absetzer 760 ist einer von sechs im Tagebau, der durch die neue Autobahntrasse in zwei Hälften geteilt ist. Auf jeder Seite schütten drei Absetzer Erde auf, allerdings ist nur ein weiterer so leistungsstark wie der, für den Pohl, Hamacher, Walter und Yalcin an diesem Nachmittag die Verantwortung tragen. Sie alle üben ihren Beruf gerne aus, auch wenn sie sich bis zur Ankunft an ihrem Arbeitsgerät mit einem Geländewagen durch den weitläufigen Tagebau kämpfen müssen. Bei Regen und Matsch dauert die Anfahrt bis zu 20 Minuten.

(cka)
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