Jüchen Als Protestanten sich in Kellern versteckten

Jüchen · Das Luther-Jahr nutzt die evangelische Kirchengemeinde Jüchen, um über das eigene Glaubensprofil nachzudenken. Und es wird an Zeiten erinnert, als evangelische Christen nur heimlich in Kellern ihre Gottesdienste feiern konnten.

 Pfarrer Horst Porkolab in der evangelischen Hofkirche am Markt mit dem bekannten Martin-Luther-Porträt von Lucas Cranach.

Pfarrer Horst Porkolab in der evangelischen Hofkirche am Markt mit dem bekannten Martin-Luther-Porträt von Lucas Cranach.

Foto: A. woitschütze

Mit einer anspruchsvollen, aufwendigen und spannenden Veranstaltungsreihe will sich die evangelische Kirchengemeinde Jüchen mit dem 500-Jahr-Gedenken an den Reformator Martin Luther auseinandersetzen. Pfarrer Horst Porkolab hat gemeinsam mit anderen Aktiven aus der Hofkirchengemeinde ein Jahr lang an dem Programm gefeilt, das auch mit evangelisch-katholischer Talkrunde und ökumenischer Bibelwoche den "Brückenschlag auf die andere Straßenseite" zur Pfarrkirche Jüchen betont. "Luther wollte die Kirche nicht spalten, er wollte die Erneuerung", sagt Porkolab und fügt hinzu: "Die Reformation war nicht das Werk eines Mannes, vor und nach Luther gab es viele andere - übrigens auch Frauen." Deshalb wird auf Anregung der Gleichstellungsstelle der Gemeinde Jüchen auch die Wanderausstellung "Reformatorinnen seit 1517" in die Veranstaltungsreihe zum Luther-Jahr integriert.

Spannend wird es für die Konfirmanden der evangelischen Kirchengemeinde: Sie werden in Haus Bontenbroich und Haus Neuenhoven die Keller besichtigen, in denen die Protestanten einst heimlich ihre Gottesdienste feierten. Beeinflusst von den Calvinisten aus dem nahen Holland zogen Laienprediger über die niederrheinischen Höfe und versuchten, Anhänger für die protestantische Abendmahlsfeier zu gewinnen. An geheime, weil von der katholischen Landesherrschaft verbotene Gottesdienste erinnern Keller und Feldscheunen. Außerdem werden die Konfirmanden im gut gepflegten und bestückten Archiv der Hofkirchengemeinde unter anderem einen Abendmahlskelch aus dem Jahre 1674, alte Bibeln und Protokolle aus dem 17. Jahrhundert bestaunen können.

Für den Gemeindepfarrer ist das Luther-Jahr eine gute Gelegenheit, "unser Profil neu zu entdecken, das hier und da etwas schwammig geworden ist", beobachtet Porkolab. Sich wieder mehr zu fragen, was Jesus gewollt habe und was in der Heiligen Schrift stehe - diese Gelegenheit biete das Gedenk-Jahr, das der Pfarrer aber auch kritisch sieht: "Das Luther-Gedenken wird teilweise bis zur Verkitschung betrieben", zielt er auf die Souvenir-Industrie ab, die jetzt unter anderem auch Martin-Luther-Badeenten und sonstige Kuriositäten herausbringt. Auch die Reisebranche habe sich auf den durchaus wirtschaftlich nutzbaren "Luther-Boom" mit aufgeschwungen, beobachtet Porkolab.

Für seine Gemeinde in Jüchen sehe er aber die Chance, "Luther nicht zu verwursten", wie er deutlich sagt, sondern in einer bewussten Auseinandersetzung mit der Reformation, mit dem Ziel der inneren Erneuerung. Um diesen Ansatz nicht in der Theorie stecken zu lassen, ist auch bereits ein Ziel vorgegeben: 17 Thesen - nicht 95, wie sie Luther aufgestellt hat, sondern 17 für das Jahr 2017 - sollen am Ende des Jahres verfasst sein. "Wir laden die Gemeinde über das ganze Jahr ein, gemeinsam darüber nachzudenken, wo stehen wir und wo wollen wir hin", sagt der Pfarrer. Die Gedanken, Anregungen, Kritik und vor allem Vorschläge zur inneren Erneuerung sollen in einem Kasten in der Hofkirche ab Ende Januar gesammelt und am Jahresende ausgewertet werden.

2500 Glieder zählen aktuell zur evangelischen Kirchengemeinde Jüchen. "Wir sind die einzige Gemeinde im Kirchenkreis, die von den Zahlen her stabil ist", freut sich Porkolab, räumt jedoch ein: "Das liegt aber daran, dass Jüchen immer noch eine Zuzugsgemeinde ist." Dennoch schrumpfe die Kerngemeinde der aktiven Christen: "Was das angeht, da sind wir eben ein Teil der Gesellschaft. Die Kirche wird als Dienstleister für Taufen, Hochzeiten und dergleichen zwar noch genutzt, aber viele Glieder bleiben ansonsten eher passiv", bedauert der Pfarrer.

Und bis in die Kirche hinein regiere auch immer mehr die allgemeine Leistungsorientierung unserer modernen Gesellschaft, beklagt Porkolab. "In unserer Gesellschaft ist nur der etwas wert, der auch etwas leistet. Ich wünsche mir aber eine evangelische Kirche, die in dem Bewusstsein lebt, dass wir alle gleich viel wert sind", betont der Pfarrer und bezieht sich damit auf die theologische Rechtfertigungslehre, die auch Luther als Augustiner gepredigt und verfolgt habe.

(NGZ)
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