Sabine Grützmacher im Gespräch Arbeitsauftrag – wieder gesund werden

Interview | Oberberg · Die Grünen-Politikerin ist bei der Bundestagswahl 2021 in den Bundestag eingezogen, ein Jahr später wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Im Interview erzählt sie, wie es ihr aktuell geht.

 Sabine Grützmacher berichtet im Interview über ihre Krebserkrankung.

Sabine Grützmacher berichtet im Interview über ihre Krebserkrankung.

Foto: Ralf Jost

Frau Grützmacher, wie geht es Ihnen aktuell?

Sabine Grützmacher Mein aktueller Status kann ganz gut mit „Ich gehe mal die Welt umarmen“ beschrieben werden. Nach wirklich heftigen Nebenwirkungen, längeren Krankenhausaufenthalten und mehreren Monaten Chemotherapie wurde meine Operation gerade außerplanmäßig vorgezogen. Glücklicherweise konnten keine Krebszellen mehr nachgewiesen werden. Trotzdem wird es noch anschließende Chemotherapien und Bestrahlungen geben – zur Sicherheit. Ein bisschen Geduld brauche ich noch. Aber mit Blick auf den Sommer darf ich wieder auf ein bisschen Normalität hoffen, und ich hoffe auch wieder gut auf die Beine zu kommen. Ich vermisse die politische Arbeit.

Wann haben Sie die Diagnose Krebs bekommen?

Grützmacher Im Oktober 2022, fast genau ein Jahr nach der Wahl. Es war ein Tastbefund und hat sich angefühlt wie in einem schlechten Film. An dieser Stelle muss ich unbedingt einen „Werbeblock“ für die Früherkennung einschieben. Auch wenn es nicht die angenehmsten Termine sind, möchte ich wirklich allen Frauen raten, die Früherkennung in Anspruch zu nehmen. Sie kann im besten Fall Leben retten.

Wie geht man mit dieser Diagnose bestmöglich um?

Grützmacher Das muss jede Frau für sich selbst beantworten. Mit Blick auf eine gute Behandlung kann ich nur sagen, der Weg in ein zertifiziertes Brustzentrum lohnt sich. Ich bin aufgrund familiärer Verbindungen Patientin in Köln-Holweide und fühle mich dort gut aufgehoben. Das ist wichtig. Denn nach der Diagnose ging es Schlag auf Schlag. So wirklich Zeit zum Luftholen und Realisieren blieb gar nicht. Ich musste zeitgleich zügig Vertretungen für meine Themen wie Digitalisierung, Geldwäsche oder Kryptowährungen organisieren. Die Arbeit im Bundestag geht ja weiter, und für solch spezielle Themenbereiche muss auch erst mal eine Vertretung gefunden werden. Erst kam das Funktionieren, das Realisieren dauert etwas länger. Ich kann nur empfehlen, die Angebote zur Beratung zu nutzen. Mir hilft ein offener Umgang mit der Diagnose, und manchmal hilft es – so blöd das klingt – auch einfach, einen Baum im Wald anzubrüllen.

Wie sieht Ihre Therapie aus?

Grützmacher Chemotherapie über sechs Monate, die sich aufgrund von Nebenwirkungen wie etwa hohem Fieber und häufigem stationären Klinikaufenthalten doch etwas länger gezogen haben. Jetzt gerade die erfolgte Operation, dazu noch ausstehend weitere Chemotherapie und Bestrahlung. Von heute auf morgen steckt man in einem vollkommen anderen und fremdbestimmten Leben.

Konnten Sie denn Ihrer politischen Arbeit nachgehen?

Grützmacher Das hatte ich so geplant. Aufgrund der notwendig sehr starken Chemotherapie zu Beginn war das aber nur sehr eingeschränkt und seit Dezember dann gar nicht mehr möglich. Jetzt hoffe ich, ab Sommer wieder einsteigen zu können. Da einige Ausschüsse hybrid stattfinden, ist eine digitale Teilnahme für mich hoffentlich schon früher möglich.

Braucht man für den Bundestag einen Krankenschein?

Grützmacher Einen Krankenschein nicht. Es gibt aber einen Bundestagsarzt, den ich parallel zu meinem Hausarzt über den Krankheitsverlauf informiere. Ich bin bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas natürlich entschuldigt und habe sie über die Erkrankung informiert.

Wie hat man in Ihrer Partei auf Ihre Erkrankung reagiert?

Grützmacher Bestürzt. Aber so, wie ich es von meiner Partei gewohnt bin, auch menschlich und empathisch. Ich habe einen „Arbeitsauftrag“ bekommen: Mein Job ist es, gesund zu werden.

Hilft es, sich mit etwas anderem zu beschäftigen – etwa mit der Politik?

Grützmacher Sobald es möglich ist – ja, auf jeden Fall. Abgeordnete zu sein ist ein absolutes Privileg, und ich habe Themen, die ich unbedingt voranbringen möchte. Unter anderem treiben mich Sicherheitslücken in Open-Source-Lösungen und sich daraus ergebende finanzielle Schäden für Wirtschaft, Verhinderung von Geldwäsche oder weitere Themen an der Schnittstelle von Digitalisierung und Finanzen um. Es zieht mich schon auch wieder nach Berlin. Aber es ist auch wichtig, Ruhe-Inseln zu haben. So eine Krebserkrankung ist ein Marathon und enorm kräftezerrend. Kraft auftanken ist ein zentrales Thema.

Haben Sie irgendwann gedacht, sich aus der Bundespolitik zurückzuziehen?

Grützmacher Nein. Ich kann es kaum erwarten, wieder arbeiten zu können.

Sind Sie zur „Expertin“ in Bezug auf Ihre Erkrankung geworden?

Grützmacher Absolut. Ich habe es vielleicht ein bisschen übertrieben, wahrscheinlich ein paar Studien zu viel gelesen. Informiert zu sein, sich auszutauschen und Mitspracherechte zu haben in einer Situation, in der man sich sowieso schon oft genug völlig fremdbestimmt fühlt, ist mir unglaublich wichtig. Es gibt auch ein Stück weit das Gefühl von Kontrolle und Mitbestimmung.

Ändert sich durch eine solche Diagnose der Blick auf die Welt?

Grützmacher Wenn das Krankenhaus auf Zeit gefühlt zum zweiten Wohnsitz wird, dann werden Prioritäten automatisch neu überdacht. Der nach Wochen wieder mögliche Cafébesuch wird zum Highlight. Dankbarkeit für eine gute Prognose ist mir ein großes Thema. Aber auch Dankbarkeit für die Unterstützung aus meinem Netzwerk in dieser Zeit. Die Leidenschaft für Politik bleibt aber.

Was gibt Ihnen Kraft?

Grützmacher Im Moment die Aussicht auf einen langen Wanderurlaub, um wieder auf die Füße zu kommen. In der ganzen Zeit ein großartiges Netzwerk von Menschen. Das ist nicht selbstverständlich, und das ist mir völlig bewusst.

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