Hückeswagen vor 150 Jahren Fahnenweihe des Landwehrvereins

Hückeswagen · Ein heute unvorstellbares Ritual war vor 150 Jahren in Hückeswagen gang und gäbe. Zwei Tage Anfang Juli 1869 hielt der „Landwehrverein“ am „Gedenktag der glorreichen Schlacht von Königgrätz“ eine „Fahnenweihe“ ab.

 Der Landwehrverein Hückeswagen im Jahr 1869. Solche militärischen Einheiten waren im 19. Jahrhundert eine Pflicht.

Der Landwehrverein Hückeswagen im Jahr 1869. Solche militärischen Einheiten waren im 19. Jahrhundert eine Pflicht.

Foto: Stadtarchiv

Je weiter der Blick in die Vergangenheit fällt, desto befremdlicher muten die Rituale und verwendeten Begrifflichkeiten in einer Stadtgesellschaft an. So liest sich auch der Programmablauf des Wochenendes vom 3. und 4. Juli 1869, an dem der „Landwehrverein“ am „Gedenktag der glorreichen Schlacht von Königgrätz“ eine „Fahnenweihe“ abhält. Das Volksblatt für Berg & Mark – herausgegeben vom Verleger Louis Bode aus Hückeswagen und einer der Vorläufer der Bergischen Morgenpost – druckte aus diesem Anlass eine ganzseitige Anzeige, in der ausführlich die einzelnen Programmpunkte aufgeführt wurden.

Veranstalter war der Landwehrverein Hückeswagen. Vor Ort gab es ihn in Vereinsform seit 1860, woanders teilweise schon früher, denn eine Verordnung vom 17. März 1813 im Rahmen der Preußischen Heeresreform sah die Bildung einer Landwehr als militärische Einheit verbindlich vor. Sie ist nicht zu verwechseln mit den mittelalterlichen Landwehren, jenen Grenzwällen und Gräben, die ein bestimmtes Areal schützen sollten. In einer Landwehr dienten alle wehrpflichtigen Männer im Alter von 17 bis 40 Jahren, die nicht zu den regulären Einheiten eingezogen wurden oder freiwillig ihren Dienst versahen. Fanden sich jedoch nicht genug Freiwillige in einem zuvor definierten Gebiet, wurde die fehlende Anzahl an Wehrmännern durch das Los bestimmt. Die Landwehreinheiten waren den regulären Militäreinheiten gleichgestellt.

Die „Fahnenweihe“ hatte einen festen Ablauf, wobei Bestandteil immer auch ein kirchlicher Akt war. So wurde die Fahne eines Vereins als Zeichen der Verbundenheit mit dem christlichen Glauben bei einem Gottesdienst nahe dem Altar ausgestellt. Man trat damals weiterhin zur „Kirchenparade“ nach dem Gottesdienst an, wobei die Würdenträger und Repräsentanten der örtlichen Vereine mit Fahnen und Musik vom Gotteshaus wegzogen. Bei dieser Gelegenheit folgte dann die feierliche Einweihung der Fahne und ein großer Festzug durch die Stadt. Der Sonntagabend klang dann mit einem Ball aus.

Das Fest begann bereits am Tag zuvor, wodurch besonders deutlich wird, wie sehr der militärische Charakter der Veranstaltung dominierte. Der Landwehrverein hielt einen „Großen Zapfenstreich“ ab, ein Ritual, das ebenfalls 1813 entstand und man bei der Bundeswehr noch heute kennt. Es folgte ein „Kanonendonner“ und am Abend eine „Serenade“ – also ein Konzert unter freiem Himmel mit einer Militärkapelle. Lange ausschlafen konnten die Beteiligten nicht, denn der Programmablauf sah für Sonntagmorgen 5 Uhr eine „Reveille“ vor. Und wer nach diesem traditionellen militärischen Weckruf durch ein Hornsignal immer noch nicht wach war, fiel spätestens bei dem anschließenden erneuten Kanonendonner aus dem Bett.

Bleibt noch die „Schlacht von Königgrätz“, auf die sich der Landwehrverein ausdrücklich bezog. Am 3. Juli 1866, also drei Jahre vor der Fahnenweihe, besiegten die Preußen die Österreicher und stiegen damit zur Führungsmacht in Deutschland auf. Die Schlacht gilt in der Forschung als Wegbereiter der Deutschen Reichsgründung 1871, ein Ereignis, dass bei der Fahnenweihe noch zwei Jahre in der Zukunft lag.

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