Hückeswagen Rudolf Dreßler - ein Genosse hat Wut im Bauch

Hückeswagen · Der frühere Botschafter in Israel kam zur letzten SPD-Mitgliederversammlung des Jahres und redete Tacheles.

Mit Pegida und AfD wurde der "Wutbürger" zur Figur bundesdeutscher Realität. Er ist ein Phänomen, das gemeinhin im rechtspopulistischen Umfeld verortet wird. In diese Ecke gehört Rudolf Dreßler nicht. Der 75-Jährige gilt als "Traditionssozialdemokrat" und innerhalb der Partei als eher links einzuordnen. Aber auch er ist so etwas wie ein Wutbürger, vielleicht eher ein Wutpolitiker. Jedenfalls ist er ein Genosse mit Wut im Bauch. Und die lässt er gerne mal raus - so am Dienstagabend als Gastredner bei der Mitgliederversammlung der SPD im gut besuchten Kultur-Haus Zach.

Was den gebürtigen Wuppertaler Rudolf Dreßler, 1982 unter Helmut Schmidt Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales, später 20 Jahre lang Bundestagsabgeordneter und von 2001 bis 2005 Botschafter in Israel, wütend macht, ist nicht nur die gegenwärtige Regierungspolitik im Allgemeinen. Es ist im Besonderen auch die Rolle, die "seine" Partei darin spielt. "Ich muss mich da sehr zusammenreißen, um in der Beurteilung nicht ausfallend zu werden", sagte er.

Der SPD auf Bundesebene wirft er vor, innerhalb der großen Koalition, die er selbst immer abgelehnt hat, grundlegende Werte der Sozialdemokratie aus den Augen verloren und sie gegen "neoliberales Gedankengut" eingetauscht zu haben. Dreßler: "Die Wahrung des Solidarprinzips ist der Kitt unserer Gesellschaft, aber anstelle der Solidarität sind die Ellenbogen getreten." Wie viel Sozialstaat können wir uns leisten? Das sei heute die beherrschende Frage. Für Dreßler muss sie - auch und gerade innerhalb der SPD - neu formuliert werden: "Wie viel Sozialstaat müssen wir uns leisten?"

Jedenfalls mehr als heute: Das ist seine Antwort darauf. Deutliche Worte fand Dreßler gegen "Sozialschmarotzer und Millionenbetrüger", die ihre Steuern hinterziehen und bei Selbstanzeige unter dem Druck sicherer Entdeckung straffrei ausgehen. "Ein Hartz IV-Bezieher, der ein paar Euro zu Unrecht kassiert, wird dafür garantiert strafrechtlich verfolgt", sagt er.

Damit war er bei einem Thema angekommen, das für ihn ebenfalls von grundlegender politischer Bedeutung ist: Gerechtigkeit. Die sei unter anderem auf der Strecke geblieben, als es 2008 und in den Folgejahren Milliarden an Bundesbürgschaften für Banken, finanziert aus Steuergeldern, gab. Aus dieser Summe hätten die gesamten Sozialausgaben für viele Jahre finanziert werden können, unterstrich Dreßler und verband das mit der Forderung: "Die Parallelgesellschaft der Banker darf nicht länger geduldet werden."

Zum Ende seines Vortrages wurde der 75-Jährige versöhnlicher, auch gegenüber der eigenen Partei: "Nur um die SPD zu beschimpfen, bin ich nicht nach Hückeswagen gekommen." Sein Plädoyer sei es, "die Neubelebung des Solidargedankens wieder in den Mittelpunkt zu rücken". Er setze auf die Erneuerung alter Grundwerte in der Partei: "Wer anders als die Sozialdemokraten soll das denn machen?"

Dreßler hat sich mit solchen Positionen nicht unbedingt Freunde gemacht in der derzeitigen SPD-Spitze. An der Basis sieht das offenbar anders aus: Mit starkem Applaus verabschiedeten die Hückeswagener Sozialdemokraten den ehemaligen Bundespolitiker, der sich als Botschafter der Bundesrepublik eines nicht zu eigen gemacht hat: die leisen und diplomatischen Töne.

(bn)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort