Carsten Brodesser "Reichstag ist Herzkammer der Demokratie"

Hückeswagen · Der Direktkandidat für den Oberbergischen Kreis hat sich in den ersten Tagen in Berlin orientiert. Jetzt soll bald die konkrete Arbeit beginnen.

 Carsten Brodesser bei der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages im Berliner Reichstag. Am liebsten würde er im Finanzausschuss oder im Entwicklungsausschuss mitarbeiten.

Carsten Brodesser bei der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages im Berliner Reichstag. Am liebsten würde er im Finanzausschuss oder im Entwicklungsausschuss mitarbeiten.

Foto: büro brodesser

radevormwald/hückeswagen Carsten Brodesser ist als Direktkandidat für den Oberbergischen Kreis bei der Bundestagswahl in den Reichstag gewählt worden. Im BM-Interview schildert der CDU-Politiker seine ersten Wochen in der Bundeshauptstadt.

Herr Brodesser, wie war für sie die erste Zeit im Reichstag?

Brodesser Spannend, lehrreich und geprägt durch täglich neue Erfahrungen - vergleichbar mit einem Schultag. Nur dass in der "Schultüte" keine Süßigkeiten oder Buntstifte waren, sondern Regeln, Regeln und nochmals Regeln. Die ersten Tage verbringt man damit, sich zu orientieren - nicht nur in den Gebäuden, sondern auch zeitlich und inhaltlich. Darüber hinaus lernt man jeden Tag neue Menschen kennen, auch solche, die man bisher nur aus dem Fernsehen kannte.

Sie kannten den Reichstag aber schon von früheren Besuchen, oder?

Brodesser Als Mitglied einer Besuchergruppe konnte ich den Reichstag vor einigen Jahren besuchen. Im Februar und März dieses Jahres hatte ich mich dann mit meinem Vorgänger Klaus-Peter Flosbach und seinen Mitarbeitern getroffen. So konnte ich mir einen ersten Eindruck davon verschaffen, was im Falle meiner Wahl auf mich zukommt.

Sind Sie denn schon komplett in der Hauptstadt angekommen?

Brodesser Nein, und ich glaube, dass man im täglichen Parlamentsbetrieb auch gar keine Gelegenheit hat, diese Weltstadt auch wirklich kennenzulernen. Der Alltag ist minuziös durchgeplant - da bleibt keine Zeit zu einem wirklichen "Einleben". Selbst erfahrene Abgeordnete haben in vielen Jahren nie mehr als das Regierungsviertel gesehen. Ich habe mir jedoch vorgenommen, möglichst viele Strecken innerhalb des Zentrums mit dem Fahrrad zu fahren. So lerne ich zumindest das Zentrum von Berlin besser kennen.

Freuen Sie sich auf Ihre künftige Arbeit in Berlin?

Brodesser Ja sehr. Ich bin allerdings auch sehr ungeduldig und hoffe, dass die Sondierungsgespräche schnell in einer arbeitsfähigen Koalition münden. Als direkt gewählter Abgeordneter möchte man so schnell wie möglich an den Themen arbeiten, die für den Oberbergischen Kreis wichtig sind. Leider sind die entsprechenden Ausschüsse und Arbeitsgruppen noch nicht gebildet worden. Bis dahin kümmere ich mich um zahlreiche Einzelanliegen der Menschen aus dem Oberbergischen Kreis.

Spürt man in Berlin, speziell im Reichstag, den Hauch der Geschichte?

Brodesser Absolut. Obwohl die Architektur im Inneren des Reichstages eher nüchtern und modern gestaltet ist, begegnet man überall den Zeugnissen der Geschichte. Von den Graffiti, die sowjetische Soldaten im Zweiten Weltkrieg bei der Besetzung des Reichstages hinterlassen haben, bis zum Fluchttunnel des Reichstagspräsidenten - die Geschichte begegnet einem auf Schritt und Tritt. Zudem wird gerade in diesem Gebäude deutlich, dass eine parlamentarische Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Der Reichstagsbrand im Februar 1933 lieferte den Vorwand für die zeitweilige Außerkraftsetzung wichtiger Grundrechte und war ein entscheidender Schritt bei der nationalsozialistischen Machtergreifung. Nach der Wiedervereinigung und einer langjährigen Umbauphase nahm 1999 der Deutsche Bundestag dort wieder seine Arbeit auf. Zweifelsfrei ist der Reichstag - auch in geschichtlicher Hinsicht - die Herzkammer unserer Demokratie.

Steht Ihr Büro schon?

Brodesser Beinahe. Die Büros sind zwar bereits zugewiesen und die Möblierung beauftragt, doch der Einzugstermin könnte sich noch bis Ende November hinziehen. Bei 709 Abgeordneten ist das schon eine logistische Mammutaufgabe. Nicht nur, dass mehr Abgeordnete ihre Arbeitsplätze beziehen wollen, sondern auch die Tatsache, dass nunmehr sechs Parteien im Bundestag sitzen, erschweren den Umzug und die Zuweisung von Arbeitsräumen. Das alles geschieht zudem im laufenden Betrieb - so, als wenn man bei einem fahrenden Auto die Reifen wechseln würde.

Haben Sie die Mitarbeiter von Ihrem Vorgänger Klaus-Peter Flosbach übernommen?

Brodesser Überwiegend, ja. Ich bin dankbar, dass die erfahrenen Mitarbeiter in Berlin geblieben sind. Das erleichtert mir die Einarbeitung ungemein. Ohne meine Büroleiterin würde ich wahrscheinlich noch immer auf "Apfelsinenkisten" sitzen und meine Korrespondenz mit dem Mobiltelefon erledigen.

Haben Sie auch schon eine Wohnung gefunden oder wohnen Sie noch im Hotel?

Brodesser Ich habe unglaubliches Glück gehabt und eine kleine Wohnung in der Innenstadt gefunden. Ein Abgeordneter, der nicht mehr dem Bundestag angehört, hatte sie in den vergangenen vier Jahren bewohnt. Es muss noch ein wenig renoviert werden, aber Ende November kann ich einziehen. Bis dahin wohne ich im Hotel.

Wie sieht Ihre Zeitaufteilung zwischen Lindlar und Berlin aus?

Brodesser In der Regel wechseln sich Plenar- und Wahlkreiswochen ab. Man pendelt ständig zwischen Parlaments- und Wahlkreisverpflichtungen. Was ja auch gut ist, damit man den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern in seinem Wahlkreis nicht verliert. Die Wochen in Berlin sind weitestgehend durchgeplant, bei der Zeiteinteilung im Wahlkreis muss man trotz aller Verpflichtungen aufpassen, dass noch etwas Zeit für die Familie bleibt.

Wann geht es mit der Aufteilung der Ausschussarbeit los?

Brodesser Hoffentlich bald. Endgültige Klarheit gibt es jedoch erst, wenn eine stabile Regierung gebildet wurde. Über die Verteilung der Ausschüsse verhandeln die jeweiligen Landesgruppen der Fraktion. Neben der fachlichen Qualifikation sowie der beruflichen Erfahrung spielt auch der "Regionalproporz" eine wichtige Rolle. Jede Region sollte in jedem Sachgebiet gut vertreten sein.

Sie wollen ja in den Finanzausschuss oder in den Entwicklungsausschuss - wie zuversichtlich sind Sie, dass das was wird?

Brodesser Ich bin Optimist, insofern bin ich sehr zuversichtlich. Ich kann allerdings auch in anderen Ausschüssen viel für meine bergische Heimat erreichen. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum betrifft ja nicht nur die Kommunalfinanzen oder die Steuerung der Zuwanderung. Verkehr, digitale Infrastruktur, Tourismus, Landwirtschaft, Energie und so weiter - all das sind Themen, in denen man die Interessen des Oberbergischen Kreises gut vertreten kann.

Wie wollen Sie sich erden, wenn Sie nach einer anstrengenden Woche nach Lindlar zurückkommen?

Brodesser Meine Frau und meine Kinder holen mich schon auf den Boden der Tatsachen zurück. Zudem sagen mir meine Freunde, Nachbarn und alle Menschen im Oberbergischen, die ich treffe, was sie von der aktuellen politischen Arbeit halten. Eine längere Walkingstrecke durch unsere herrliche Landschaft hilft zudem beim "Entschleunigen" und "Ankommen". Man bleibt Mensch, und man sollte sich selbst nicht zu wichtig nehmen.

Wie groß ist der Unterschied zwischen der Klein- und der Großstadt?

Brodesser Riesig. Berlin ist hektischer, oberflächlicher und anonymer als unser ländlicher Raum. In vielerlei Hinsicht ist Berlin attraktiv, und vielleicht verbringe ich künftig mit meiner Familie auch das eine oder andere Wochenende zusammen in der Hauptstadt, doch dauerhaft möchte ich dort nicht leben. Meine Wurzeln sind im Bergischen stark verankert.

Haben Sie in Berlin schon eine Currywurst gegessen?

Brodesser Ja, aber nicht an einer "Kult-Bude", sondern im Reichstag während einer Sitzung meiner Landesgruppe.

DAS INTERVIEW FÜHRTE WOLFGANG WEITZDÖRFER

(RP)
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