Hückeswagens Partnerstadt Etaples Viele Flüchtlinge scheitern auf dem Kanal

Etaples · Nicht weit entfernt von Hückeswagens Partnerstadt Etaples spielen sich fast täglich Dramen ab: Flüchtlinge versuchen an der Ärmelkanalküste bei Calais, in Nussschalen die gegenüberliegende englische Küste zu erreichen.

 Immer wieder werden im Ärmelkanal  Boote mit Flüchtlingen von der französischen oder britischen Marine aufgebracht. Die vorwiegend Männer versuchen so, die nahegelegene englische Küste zu erreichen.

Immer wieder werden im Ärmelkanal  Boote mit Flüchtlingen von der französischen oder britischen Marine aufgebracht. Die vorwiegend Männer versuchen so, die nahegelegene englische Küste zu erreichen.

Foto: dpa/Gareth Fuller

60 Flüchtlinge, darunter Frauen und Kinder, sind erst kürzlich von der französischen Marine gerettet worden. Sie hätten versucht, auf zwei Booten den Ärmelkanal zu überqueren, meldete die FAZ am Dienstag. In Frankreich gehen die Gerichte mittlerweile hart gegen Schleuser vor. Denn Kriminelle haben ein neues lukratives Geschäft an den Stränden bei Calais und damit etwa 60 Kilometer nördlich von Hückeswagens Partnerstadt entfernt, etabliert, wo die Kreideküste von Südengland in Sichtweite ist. Hier versuchen immer mehr Flüchtlinge, die Meerenge zu überwinden.

Einige von ihnen scheitern dabei, und die Schleuser, die die Passage auf Schlauchbooten organisieren, werden angeklagt: Anfang Februar verurteilte eine Strafkammer in Saint-Omer einen 22-jährigen Syrer zu zwei Jahren Gefängnis, weil er bei Oye-Plage Migranten ermöglichen wollte, über den Ärmelkanal nach England zu kommen. Sein Verdienst: 400 Euro für eine Tour. In Lille wurden jüngst drei Afrikaner verurteilt. Auch sie hatten Geld damit gemacht, Menschen auf die gefährliche Reise zu schicken. Es sind nur zwei Fälle von vielen, in denen Migranten und Schleuser gescheitert sind in der Absicht, des nachts im Schutz der Dünen bei Calais auf dem Wasserweg nach England zu gelangen.

Immer wieder haben Migranten in den vergangenen Jahren versucht, vor dem Eurotunnel Lastwagen zu kapern und dort versteckt auf sicherem Weg die britische Insel zu erreichen. Aber die französische Grenzpolizei macht strenge Kontrollen und verhaftet auch regelmäßig Lkw-Fahrer, die für viel Geld versuchen, Flüchtlinge zu schmuggeln. Da dieses Nadelöhr inzwischen verstopft ist, versuchen die Menschen, die 34 Kilometer breite Meerenge mit allen möglichen Transportmitteln zu befahren – von Tretbooten über Kajaks bis hin zu den Schlauchbooten der Schleuser.

Anfang Februar hatte es nach heftigen Regenfällen und Überflutungen – die Canche trat bei Etaples über die Ufer und überschwemmte viele Standorte von Wochenendhäusern – in der Region einen Kälteeinbruch mit Schneefällen gegeben. Im „Dschungel“, wie ein Stück bewaldetes Ödland nahe Calais von den Einheimischen genannt wird, sammelten sich trotz der Kälte immer wieder Migranten und hielten dort bei Frosttemperaturen in Kleinstzelten aus. Freiwillige Helfer organisierten Busse, um sie in einen großen Hangar zu bringen, den die Gemeinde als Aufwärm- und Versorgungsstelle zur Verfügung gestellt hatte. Aber nur wenige Menschen nahmen dies Angebot an. Sie warteten offenbar lieber auf den illegalen Transit, denn der erschien ihnen verlockender.

Die Gründe dafür offenbaren sich bei näherer Betrachtung: Wenn viele auf der Strecke via Calais-Dover starten, kommen einige immer noch durch. Die französischen Behörden nehmen an, dass in manchen Nächten 15 bis 20 dieser Schlauchboote in See stechen. Sind sie einmal, etwa von Drohnen, geortet, können die ausschwärmenden Schiffe der Polizei, des Grenzschutzes oder der Seenotretter nur wenige Boote aufbringen und deren Passagiere evakuieren. Dafür gibt es zu wenig Personal. Die restlichen Flüchtlinge, bis zu 20 auf den überladenen, kiellosen Nussschalen gedrängt, schaffen es offenbar bis zur englischen Küste. Die sechs bekannten Todesfälle, die bei den illegalen Transits 2020 im Ärmelkanal zu beklagen sind, stehen in keinem Verhältnis zur erschreckenden Zahl der Ertrunkenen auf den Routen des Mittelmeeres.

Ende Februar veröffentlichten die mit der Kontrolle des Seegebiets zwischen dem normannischen Mont St.-Michel im Süden und der belgischen Grenze beauftragten maritimen Einheiten eine aufschlussreiche Statistik: Seit zehn Jahren hat sich die Zahl ihrer Dienstleistungen verdreifacht, besonders in die Höhe schnellte sie von 203 Einsätzen im Jahre 2019 auf fast 868 in 2020. Diese Angaben lassen jedoch nicht annehmen, dass Urlauber, die mit ihren Booten verunglückten, nun leichtsinniger geworden sind. Was die Menge der Rettungsaktionen anwachsen lässt, sind die aufgebrachten Flüchtlinge: Von den 10.600 aus Seenot geborgenen Personen lag der Anteil der Migranten bei 70 Prozent.

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