Hückeswagener Diplom-Pädagogin Constanze Werth im Interview „Kinder lernen nicht nur stillsitzend“

Remscheid/Hückeswagen · Die psychologische Beratungsstelle Remscheid bietet Kurse für Eltern an, deren Kinder im nächsten Sommer in die Schule kommen. Die Hückeswagener Diplom-Pädagogin Constanze Werth beantwortet im Interview wichtige Fragen von Eltern.

 Eltern sollten ihre Kinder nicht zwingen, im Vorschulalter schon mit dem Lesen zu beginnen. Es aber unterstützen, wenn es wollen - rät die Diplom-Pädagogin Constanze Werth.

Eltern sollten ihre Kinder nicht zwingen, im Vorschulalter schon mit dem Lesen zu beginnen. Es aber unterstützen, wenn es wollen - rät die Diplom-Pädagogin Constanze Werth.

Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Mein Kind kommt im Sommer in die Schule, es ist jetzt fünf oder vielleicht schon sechs Jahre alt. Es wird vermutlich bald zur Schuleingangsuntersuchung eingeladen und auf „Schulfähigkeit“ getestet werden. Was genau versteht man darunter?

Constanze Werth Bei der schulmedizinischen Überprüfung der Schulfähigkeit geht es um den allgemeinen Entwicklungsstand des Kindes, unter anderem im Hinblick auf Sprache, Motorik, Zahlverständnis, Aufmerksamkeit und die körperliche Entwicklung. Die Einschulung eines Kindes von seinem allgemeinen Entwicklungsstand abhängig zu machen ist sinnvoll, genau das spricht aus unserer Sicht dagegen, gleichzeitig einen Stichtag zu setzen. Da wir die Regelung über einen Stichtag nicht verändern können, war unsere Idee, ein Kursangebot für Eltern zu schaffen, in dem sie Tipps und Anregungen bekommen, wie sie ihr Kind auf dem Weg in die Schule begleiten und seine Selbstständigkeit altersgerecht stärken können.

 Die Hückeswagenerin Constanze Werth ist Diplom-Pädagogin bei der psychologischen Beratungsstelle mit Schwerpunkt im Arbeitsbereich „Stark in Schule“.

Die Hückeswagenerin Constanze Werth ist Diplom-Pädagogin bei der psychologischen Beratungsstelle mit Schwerpunkt im Arbeitsbereich „Stark in Schule“.

Foto: Theomas E.Wunsch/Thomas E. Wunsch

Viele Kinder sind schon ganz wissbegierig und lernen von sich aus das Alphabet oder erstes Rechnen. Mein Kind spielt aber bislang nur. Eigentlich möchte ich es auch nicht zwingen, jetzt schon klassischen Schulstoff zu lernen. Aber hinkt es dann nicht direkt vom ersten Schultag an „zurück?

Werth Spielen ist lernen! Kinder erfahren durch Spielen die Welt, wie Dinge funktionieren, wie man mit anderen kommuniziert, und sie lernen im Spiel sogar, sich zu konzentrieren. Manche Kinder beschäftigen sich schon vor der Schule spielerisch mit Zahlen und Buchstaben, und bei manchen entsteht ein Zugang erst im Laufe des ersten Schuljahres. Das ist natürlicherweise so und Aufgabe der Schule, die Kinder ihrem Tempo entsprechend an Zahlen und Buchstaben heranzuführen.

Viele Eltern meinen, Kinder auf die Schule vorzubereiten, würde sich auf den Schulstoff beziehen. Dabei geht es sicher um mehr in ihrem Programm „Fit für die Schule“?

Werth Tatsächlich geht es bei uns nahezu gar nicht um Schulstoff. Wir geben den Eltern Anregungen, wie sie die Entwicklung ihrer Kinder in den Bereichen Sprach- und soziale Kompetenz, Motorik, logisches Denken und kreative Fähigkeiten spielerisch fördern können. Dabei geht es in erster Linie darum, Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit der Kinder zu stärken. Auch für ein gelingendes Lernen in Schule ist das Selbstwirksamkeitsgefühl von Kindern immens wichtig, dass sie also das Gefühl haben, sie können die Aufgaben, die an sie gestellt werden, selbst bewältigen und wissen, wo ihre Talente und Fähigkeiten liegen.

Mein Kind ist hibbelig, unruhig. Was kann ich tun, um ihm das Stillsitzen und Konzentration beizubringen?

Werth Im (Vor-)Schulalter bewegen sie sich gerne und viel, das ist altersentsprechend und normal. Leider ist das Schulsystem auf das natürliche Bewegungsbedürfnis nicht sehr gut eingestellt. Kinder passen sich enorm an, wenn sie einen großen Teil des Vormittags ruhig auf ihren Stühlen sitzen. Wir raten dringend, am Nachmittag für Ausgleich zu sorgen, die Kinder draußen spielen zu lassen, sie in Sportvereinen anzumelden. Für Kinder, denen es schwerfällt still zu sitzen, ist es daher hilfreicher, über mehr Bewegungsräume und Abwechslung nachzudenken. Lernen geht auch im Stehen, auf einem Sitzball oder liegend in der Leseecke. Wir sollten uns von der Vorstellung lösen, man lerne nur stillsitzend am Tisch.

Wenn ich es kritisiere, weint es meistens oder denkt, ich habe es nicht mehr lieb. Wie kann es lernen, besser mit Kritik oder „Fehler machen“ umzugehen?

Werth Bei Vorschulkindern möchten wir nicht von kritisieren sprechen, weil sie noch mitten im Lernprozess sind, sich in der Welt zurechtzufinden und dafür viel liebevolle Anleitung von ihren Eltern brauchen. Dazu gehört natürlich auch, dass man Kindern altersentsprechende Grenzen setzt und ihnen sagt, welches Verhalten man sich stattdessen wünscht. Zu jedem Lernprozess gehören auch Fehler. Für Schulkinder ist viel wichtiger, ihnen zurückzumelden, was sie gut gemacht haben und worauf sie aufbauen können, als alle Fehler zu korrigieren.

Was sollte es motorisch können und wie kann ich es unterstützen?

Werth Kinder sind in jedem Alter in ihrem Entwicklungsstand sehr unterschiedlich. Das bezieht sich auch auf die motorische Entwicklung. Grundsätzlich unterstützen Eltern ihre Kinder, indem sie viel mit ihnen draußen unternehmen, die Natur entdecken, sie die eigene Kraft erproben lassen und kreative Ideen von Kindern zulassen. Buden können zum Beispiel drinnen wie draußen gebaut werden. Draußen müssen Kinder auch mal klettern dürfen und ohne Vorgaben von Erwachsenen eigene Spielideen umsetzen.

Mein Kind ist sehr ängstlich und schüchtern. Ich habe Sorge, dass es in der großen Schule mit den vielen fremden Menschen unglücklich sein könnte. Der Kindergarten ist so beschaulich. Wie kann ich es auf die Umstellung und die ungewohnte Umgebung vorbereiten?

Werth In unserem Elternkursus stellen wir fest, wie wichtig ein positiver Blick der Eltern auf den Beginn der Schulzeit ist, denn das erleichtert es Kindern, sich gemeinsam auf die Zeit zu freuen und gut in Schule anzukommen. Ängste von Kindern sollten ernstgenommen werden, aber positiv angegangen werden. Eltern können sich mit ihrem Kind schon mal das Schulgebäude anschauen, den Schulweg abgehen oder Kontakte zu Kindern knüpfen, die auch dort eingeschult werden. Grundsätzlich ist eine entspannte Haltung der Eltern zu Schule und Lernen hilfreich, denn auch hier sind sie Anker und Vorbild für ihre Kinder.

Sollte ich generell mit Belohnungssystemen arbeiten? Etwa, wenn ich mit ihm den Schulweg übe und es alles richtigmacht?

Werth Zwischendurch mal zu belohnen ist in Ordnung, von Belohnungssystemen raten wir jedoch ab. Für Menschen ist von Natur aus schon Belohnung, etwas geschafft zu haben. Deshalb ist es so wichtig, dass Eltern sich mit ihrem Kind über alles freuen, was es geschafft hat und positiv bemerken, wie sehr es sich vielleicht dafür angestrengt hat. Wenn jede Leistung belohnt wird, verhindert das irgendwann, dass Kinder etwas Neues aus eigener Motivation und Freude am Lernen ausprobieren wollen.

Wie sinnvoll ist es, das Kind zu Dingen, die der Vorbereitung auf die Schule dienen, zu zwingen? Etwa, wenn es keine Lust hat, Zahlen zu schreiben?

Werth Wenn Eltern merken, dass ihre Vorschulkinder noch kein Interesse an Zahlen und Buchstaben haben, ist das völlig in Ordnung. Wenn man sie zwingt, sich damit zu beschäftigen, nimmt man ihnen vielleicht sogar die spätere Lernfreude. Im kindgerechten Spiel fördert man schon eine Menge Kompetenzen, die später auch in der Schule benötigt werden. Vorlesen fördert die Fantasie und die Fähigkeit, später eigene Aufsätze schreiben zu können. Kinderlieder und -reime fördern die Silbenerkennung, Brettspiele fördern Zahlen- und Regelverständnis sowie logisches Denken.

Wie kann ich mir selbst helfen, mein Kind besser loszulassen in diesen neuen Lebensabschnitt? Manchmal glaube ich, dass das für mich ein großes Problem wird.

WertH Wenn Kinder zu Schulkindern werden, kann das Loslassen eine große Herausforderung für Eltern sein. Gleichzeitig ist es auch schön, sein Kind auf diesem ersten kleinen Schritt ins Erwachsenwerden begleiten zu können. Die Kinder werden langsam selbstständiger und die Eltern bleiben weiterhin die wichtigsten Bezugspersonen. Vertrauen Sie, dass Ihr Kind an diesem Ort gut aufgehoben ist und sich hier weiterentwickeln kann und behalten Sie vielleicht einige Rituale aus der Kindergartenzeit bei, an denen Sie beide noch Freude haben und die Geborgenheit vermitteln.

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