Rückblende Hückeswagen Vorgänger der Mietpreisbremse

Hückeswagen · Nach dem Ersten Weltkrieg waren Mieter besonders geschützt. Denn die Vermieter mussten einen neu geschlossenen Mietvertrag beim sogenannten Mieteinigungsamt anzeigen. Und zwar innerhalb von einer Woche.

 Das Foto zeigt ein typisches Mietshaus aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich um die Hothaussche Fabrik, dem Vorgängergebäude des Schlosshotels an der Bahnhofstraße.

Das Foto zeigt ein typisches Mietshaus aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich um die Hothaussche Fabrik, dem Vorgängergebäude des Schlosshotels an der Bahnhofstraße.

Foto: Archiv Bangert

Armut und Wohnungsnot sind sozialer Sprengstoff, Unzufriedenheit und Unruhen können die Folge sein. In Zeiten, in der der Sozialstaat noch nicht so ausgebaut war wie heute, bestand für die Machthabenden die Gefahr, gewaltsam von ihren Positionen entfernt zu werden. Das galt besonders für den Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg, als in Deutschland instabile politische Verhältnisse herrschten. Die Monarchie war nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. am 28. November 1918 am Ende, die aufstrebende Arbeiterklasse machte auf der Straße Druck, und die Bevölkerung allgemein hatte an den Folgen des Krieges zu leiden. Nach dem Vorbild der russischen Februar-Revolution 1917 bildeten sich in Deutschland zunächst Arbeiter- und Soldatenräte, die jedoch wieder aufgelöst und ab dem 11. August 1919 durch die Weimarer Verfassung ersetzt wurden.

In dieser Gemengelage wurde am 22. Juni 1919 eine staatliche Verordnung zum Schutz der Mieter erlassen, die in Hückeswagen am 31. Oktober 1919 in der Bergischen Volkszeitung – einem Vorläufer der Bergischen Morgenpost – abgedruckt wurde und einen Tag später in Kraft trat. Demnach bestand für die Vermieter die unbedingte Pflicht, einen neu abgeschlossenen Mietvertrag bei der Stadt zu melden, und zwar binnen einer Woche nach Vertragsabschluss. Wer diese Frist nicht einhielt, musste eine saftige Geldstrafe zahlen und konnte im Übrigen keine Ansprüche aus dem Vertrag ableiten. Mit anderen Worten: Wurde der Vertrag nicht angezeigt, musste der Mieter nicht zahlen.

Was war der Sinn dieser Verordnung? Der Text der Bekanntmachung macht es deutlich: „Übersteigt der vereinbarte Mietzins den Betrag, der (…) unter Berücksichtigung der Nebenleistungen des Vermieters üblich und angemessen ist, so (…) kann die Gemeindebehörde innerhalb einer Woche nach Eingang der Anzeige (…) veranlassen, dass der Mietzins auf die angemessene Höhe herabgesetzt wird.“ Die Verordnung ist also nichts anderes als eine moderne Mietpreisbremse. Der Gesetzgeber, der durch die Kommune vor Ort vertreten wird, konnte also regulierend in den Markt eingreifen, wenn es nötig war.

Und die Machtfülle des Amtes mit dem harmlos klingenden Wortbestandteil „Mieteinigung“ war enorm. Nach Paragraf 3 der Satzung waren die Entscheidungen gerichtlich nicht anfechtbar. Das Amt war befugt, gekündigte Mietverträge um ein Jahr zu verlängern oder Verträge rückwirkend aufzuheben. Und: Vermieter von Wohnräumen, Läden und Werkstätten durften erst nach vorheriger Zustimmung des Amtes kündigen.

Das Mieteinigungsamt war mit einem Vorsitzenden und vier Beisitzern besetzt. Der Vorsitzende musste dabei zum Richteramt befugt oder höherer Verwaltungsbeamter sein, die Beisitzer wurden paritätisch besetzt: zwei aus dem Kreis der Hausbesitzer und zwei aus der Mieterschaft. Chef des Gremiums wurde der Amtsgerichtsrat Dr. Schwabe, als Beisitzer saßen der Kaufmann Albert Weyer, der Gemeindesekretär Lüthgarath, der Schreinermeister Ewald Hartung und der Arbeiter Emil Burghoff mit am Tisch.

Parallel zur Schaffung des Amtes rief der Verband der Mietervereine im Kreis Lennep zur Gründung eines Mietervereins in Hückeswagen und Neuhückeswagen auf. Interessierte sollten sich am 4. November 1919 im Hotel Beielstein (heute Hotel Kniep) melden.

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