Nach Hückeswagen geflüchtet vor dem Krieg Hoffnung kann im Schlimmen überleben

Oberdorp · Eine siebenköpfige Familie aus dem Osten der Ukraine ist bei Susanne und Jörn Pfeiffer in Oberdorp untergekommen. Die Familie ist nach 2014 bereits zum zweiten Mal auf der Flucht.

 Tamara Znamenska, ihre Schwiegertochter Liudmyla und deren jüngster Sohn Makar sowie vier weitere Familienmitglieder sind aus dem Osten der Ukraine nach Hückeswagen geflüchtet.  Foto: Wolfgang Weitzdörfer

Tamara Znamenska, ihre Schwiegertochter Liudmyla und deren jüngster Sohn Makar sowie vier weitere Familienmitglieder sind aus dem Osten der Ukraine nach Hückeswagen geflüchtet. Foto: Wolfgang Weitzdörfer

Foto: Wolfgang Weitzdörfer

Die Erfahrung, aus der Heimat vertrieben zu werden, weil Krieg, Terror und Tod die eigene Existenz, Freiheit oder gar das Leben bedrohen, machen weltweit viele Menschen. Für diejenigen, die in Frieden leben, ist es kaum vorstellbar, was sie durchstehen müssen – im Gespräch mit Menschen aus Syrien, Afghanistan oder aktuell aus der Ukraine werden diese Erlebnisse und Gefühle zumindest ansatzweise deutlich. Dass jemand allerdings zweimal fliehen muss, ist dann doch eher selten.

Für Tamara Znamenska, ihre Schwiegertochter Liudmyla und ihre Familie ist dieser Alptraum bittere Realität geworden. „Wir kommen aus der Stadt Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine, in der Region Luhansk“, erzählt die 65-jährige Tamara. Sie spricht nur Russisch und Ukrainisch. Dass trotzdem eine Unterhaltung zustandekommt, ist einer Übersetzungs-App zu verdanken.

Die siebenköpfige Familie – neben Tamara und Liudmyla besteht sie aus Liudmylas Eltern, ihrer Tante und ihren beiden Kindern Damir und Makar, musste zum ersten Mal bereits vor acht Jahren fliehen. „Wir haben unsere Heimatstadt 2014 verlassen, weil dort gekämpft wurde. Wir lebten dann für einige Monate in Charkow“, sagt die 36-jährige Liudmyla mit Verweis auf den Bürgerkrieg im Separatistengebiet. Sie kann ein wenig Englisch, nutzt aber für längere Gedankengänge ebenfalls eine Übersetzungs-App.

Das Gespräch findet in der Küche von Jörn und Susanne Pfeiffer in Oberdorp statt. Dort ist die ukrainische Familie untergekommen – nachdem sie am 28. Februar, vier Tage, nachdem die russische Armee das Nachbarland überfallen hatte, zunächst nach Polen geflohen war. In der Außenortschaft bei Scheideweg sind die ukrainischen Flüchtlinge sehr herzlich und freundlich aufgenommen worden.

Diese Flucht aber, erzählt Tamara, sei für sie „ein Alptraum“ gewesen. „Liudmyla ist mit den Kindern schon früher gegangen, wir anderen sind noch geblieben. Aber am 3. März habe ich Panik bekommen. Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte, und mir war schlecht ums Herz“, sagt die Schwiegermutter. Sie habe alles Mögliche in ihre Tasche gepackt – „ich kann mich nicht erinnern, was, wann und wie“, und dann sei sie los. Nach Polen, nach Krakau, in einer 30-stündigen Zugfahrt, der Zug sei ohne Lichter gefahren, damit er kein Ziel für russische Kampfflugzeuge darstellte. „In Krakau sind wir dann so herzlich von den Menschen empfangen worden“, erinnert sich Tamara. Ihre Schwiegertochter ergänzt: „Ein Pastor aus Deutschland hat uns dann nach Hückeswagen vermittelt.“

Dieser Pastor gehört zur „citychurch“ in Köln, einer freikirchlichen Gemeinde. „Er war in Polen und hat dort Hilfe und Unterkunft für die Menschen in Deutschland organisiert. Wir hatten grundsätzliche Bereitschaft mitgeteilt, dass wir jemanden aufnehmen können“, sagt Jörn Pfeiffer. Allerdings dachte das Ehepaar eher an zwei bis vier Menschen. „Dann hieß es, dass da eine siebenköpfige Familie wäre, die sich aber auch aufteilen würde. Aber wir haben uns nur angesehen und gesagt: Das machen wir jetzt“, erinnert sich Pfeiffer an den 22. März, ein Montag.

Um 4 Uhr am nächsten Morgen seien die Ukrainer in Oberdorp angekommen. „Wir wissen, dass es eine Herausforderung ist. Vielleicht war es auch blauäugig – manchmal ist das aber auch gut. Für uns ist es wirklich ein Geschenk, dass es so gut funktioniert miteinander“, sagt Pfeiffer. Er glaube auch, dass man sich „nicht einfach so“ begegnet sei.

Für die ukrainische Familie ist es ein Segen, nicht getrennt zu sein. „Ich werde nie genug Worte der Dankbarkeit finden können. Die Hilfe und Unterstützung, die wir in Hückeswagen bekommen haben, ist für unsere Familie unbezahlbar“, sagt Liudmyla. Überhaupt ist die 36-jährige Mutter zweier Söhne – der jüngere wird heute, Samstag, ein Jahr alt – überwältigt von der Freundlichkeit, Empathie und Hilfsbereitschaft der Menschen in Hückeswagen. Dabei kann man sich kaum vorstellen, was in der jungen Frau vor sich gehen mag. Schließlich ist ihr Mann nach wie vor in der Ukraine und dabei, sein Land zu verteidigen. „Wir vermissen ihn jeden Tag und beten dafür, dass ihm nichts passiert“, sagt sie.

Dennoch sei da Hoffnung – auch wenn sowohl Tamara als auch Liudmyla nicht wissen, ob sie überhaupt wieder in ihre Heimat zurück können. Es sind die Menschen, die ihnen jetzt in der Not helfen, die die 36-Jährige den Glauben an das Gute nicht verlieren lassen. „Dass es noch so viele gute Menschen gibt, gibt mir die Zuversicht, dass das Gute das Böse überwinden wird“, sagt sie. Sie wisse nicht, ob sie nach Hause zurückkehren könne und ob ihr Haus dann noch stehen werde. Und doch ist da Hoffnung und Zuversicht in ihr. „Ich wache jeden Morgen mit der Hoffnung auf Frieden auf“, unterstreicht die 36-Jährige.

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