Interview Dietmar Persian Der Bürgermeister sucht das Gespräch

Hückeswaen · Dietmar Persian wurde am 23. März zum neuen Bürgermeister von Hückeswagen gewählt, zwei Tage später war er mit seiner Unterschrift neuer Verwaltungschef und damit Nachfolger von Uwe Ufer. Heute ist er genau 100 Tage im Amt. Zeit für eine erste Bilanz.

 Anlässlich der 100-Tage-Frist stellte sich Bürgermeister Dietmar Persian den Fragen der BM. Im Interview geht er auf Persönliches, aber auch auf die schwierigen Aufgaben ein, die vor ihm, der Verwaltung und der Politik liegen.

Anlässlich der 100-Tage-Frist stellte sich Bürgermeister Dietmar Persian den Fragen der BM. Im Interview geht er auf Persönliches, aber auch auf die schwierigen Aufgaben ein, die vor ihm, der Verwaltung und der Politik liegen.

Foto: Hertgen, Nico

Herr Persian, wie hat sich Ihr Leben seit dem 23. März verändert?

Persian Es hat sich sehr verändert. Ich habe einen ganz anderen Aufgabenbereich, ein breites Spektrum von Aufgaben in der Stadt. Ich treffe viel mehr Menschen und andere Menschen als vorher. Terminlich hat sich eine ganze Menge verändert. Meine Termine und Treffen verteilen sich auf sieben Tage in der Woche.

Wochenende gibt's nicht mehr?

Persian Die gibt's auch. Ich halte bewusst auch Wochenenden frei, ich habe ja auch Stellvertreter, die Termine wahrnehmen, wenn etwas anfällt.

Die Familie muss also zu Hause noch kein Foto von Ihnen aufstellen?

Persian (lacht) Auf keinen Fall. Es ist ja auch ganz wichtig, dass ich Rückhalt in der Familie habe. Aber es gibt auch viele Wochenenden, wenn in der Stadt etwas los ist, da bin ich dann dienstlich unterwegs.

Was hat Sie im neuen Amt bisher am meisten überrascht?

Persian So viel war es gar nicht, weil ich ja schon lange in der Stadt tätig ist. Doch, eins hat mich überrascht: In den ersten vier Wochen war es ruhiger als erwartet. Ich hab nachher rausbekommen, woran's lag: Ganz viele Leute haben gesagt, wir wollen ihn erstmal ankommen lassen.

Sie sind von einem Verwaltungsamt ins andere gewechselt, dennoch: Was unterscheidet das Bürgermeisteramt von Ihrer bisherigen Arbeit?

Persian Es ist nicht nur ein Verwaltungsamt. Das Bürgermeisteramt ist ein Gestaltungsamt. Hier habe ich viel mehr Möglichkeiten, zusammen mit der Politik und den Leuten hier im Rathaus das Leben in unserer Stadt zu gestalten; viel mehr Möglichkeiten direkt mit den Bürgern in Kontakt zu kommen. Es kommen jetzt ja auch viel mehr Menschen direkt auf mich zu. Es vergeht kein Gang durch die Stadt, auf dem ich nicht angesprochen werden und Menschen mir ihre Sorgen oder auch ihr Glück mitteilen.

Sie können nirgendwo mehr unerkannt privat hingehen.

Persian Das ist so, aber das ist auch richtig so. Der Bürgermeister ist Mittler zwischen Bürgern und Verwaltung.

Vermissen Sie was gegenüber früher?

Persian Eigentlich nichts. Was ich nicht vermisse, ist, dass ich mich nicht mehr um Klein-Klein kümmern muss. Der Bürgermeister kann delegieren, da bin ich allerdings auch noch in einem Lernprozess.

Was machen Sie denn ganz anders als Ihr Vorgänger?

Persian Ich bin ein Teamplayer, mir ist ganz wichtig, dass ich, bevor ich Entscheidungen treffe, sehr stark mit den Mitarbeitern im Haus kommuniziere. Es gibt jetzt mehr Gesprächsrunden mit Fachbereichen und einzelnen Mitarbeitern. Wir hatten zum Beispiel jüngst einen Workshop mit den Fachbereichsleitern und ihren Stellvertretern und dem Personalrat, bei dem wir besprochen haben, was in den nächsten Jahren ansteht. Es ist mir ganz wichtig, dass nicht der Bürgermeister allein die Erkenntnis hat, was wichtig ist, sondern dass wir das gemeinsam erarbeiten — und dann umsetzen.

Und was steht an?

Persian Ganz große Themen die auf der Hand liegen: Haushaltskonsolidierung und Schulentwicklung. Mir ist wichtig, dass wir auch mehr als bisher die ehrenamtliche Arbeit in den Fokus bekommen. Ich bin daran interessiert, dass wir mit den Vereinen, mit dem Stadtsportverband, mit dem Stadtkulturverband einen Austausch beginnen und gucken, wo die Stadt unterstützen muss. Wir müssen gucken, wo das Ehrenamt gestärkt und vielleicht noch besser koordiniert werden kann, auch im Zusammenhang mit dem Ganztagsangebot an den Schulen. Die Vereine müssen in den Schulen ankommen. Da passiert schon einiges, aber das müssen wir noch ausbauen. Wir müssen auch als Stadt darüber nachdenken, wie wir Ehrenamtler würdigen können.

Was steht noch auf der Liste der Schwerpunktthemen?

Persian Ein großes Thema ist natürlich die demografische Entwicklung, die sich auf die Schullandschaft auswirkt, aber auch auf ganz andere Dinge. Das war ein Ergebnis unseres Verwaltungsworkshops, dass wir systematisch hier im Hause erarbeiten wollen, in welchen Bereichen wir verstärkt aktiv werden müssen. Ich wehre mich dagegen, ein Demografiekonzept durch externe Berater erarbeiten zu lassen, wie das andere Kommunen gemacht haben. Es geht darum, dass Verwaltung und Politik gemeinsam überlegen, wo wir Akzente setzen, um die demografische Entwicklung in unserer Stadt zu gestalten.

Hückeswagens Einwohnerzahl sinkt seit Jahren. Was geht der Stadt damit verloren — und wo konkret müssen Sie eingreifen, um die Stadt zukunftsfähig zu halten?

Persian Ein Punkt ist sicherlich, dass wir den Fokus stark auf Familien und Jugendlichen richten: Wie können wir da unser Angebot verbessern? Ich suche auch das Gespräch mit den Jugendlichen. Hier wird ja auch schon eine Menge geboten — in den Sportvereinen, im Jugendzentrum. Man muss das vielleicht noch stärker deutlich machen und das eine oder andere verändern. Für Familien geht es nach wie vor darum, wie sie Wohnraum finden, ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen. Hier kommt es in unserer Region immer stärker darauf an, dass wir die bestehenden Wohngebäude auch für junge Familien attraktiv machen.

Und die Älteren in seniorengerechte Wohnungen ziehen?

Persian Das ist richtig. Es geht nicht darum, die Altenheimpflegeplätze auszuweiten. Da passiert bereits eine ganze Menge in Hückeswagen.

Externe Berater für den demografischen Wandel schließen Sie aus. Wäre ein Zukunftsausschuss, wie er in Nachbarkommunen angedacht wird, ein Weg?

Persian Ist denkbar, aber soweit sind wir noch nicht.

Ein weiteres Thema für die nächsten Jahre wird die Gewerbeflächenpolitik sein. Hückeswagens Gewerbegebiete sind "voll" — wie geht's weiter?

Persian Wir werden ein weiteres ausweisen müssen. Wir versuchen das in West 3 (zwischen Junkernbusch und Kammerforsterhöhe; Anm. d. Red.) hinzubekommen — aber ohne großflächigen Einzelhandel, den ich dort aber für falsch halte. Darüber hinaus geht es um Industrieflächen, die fehlen uns. Hier sitzen wir ja schon mit allen Kommunen des Oberbergischen Kreises an der Entwicklung eines Konzeptes.

Was hat Hückeswagen von einem interkommunalen Gewerbegebiet, das irgendwo hinter Radevormwald liegt?

Persian Entscheidend ist, dass wir bei uns in der Region ein gutes Arbeitsplatzangebot haben. Eine Familie wird sich dann entscheiden, nach Hückeswagen zu ziehen, wenn Mutter oder/und Vater einen guten, sicheren Arbeitsplatz haben.

Lassen Sie uns auf das schwierige Thema Haushaltskonsolidierung gucken. Hückeswagen ist — noch — nicht im Haushaltssicherungskonzept. Sie können aber viele Ausgaben nicht beeinflussen, weil Sie Ihnen auch durch Entwicklungen in Bund und Land aufgedrückt werden. Wie sind Ihre Strategien, um ihn dennoch im Griff zu behalten?

Persian Sie haben Recht. Fast 40 Prozent unseres Haushaltes sind Transferleistungen, also das, was wir beispielsweise als Kreisumlage zahlen, für Asylbewerber, als Gewerbesteuerumlage und Ähnliches. Das ist von uns nicht zu beeinflussen. Ähnliches gilt für viele Personal- oder Sachausgaben und die vielen Pflichtaufgaben, die wir wahrnehmen müssen. Wir haben in den vergangenen Jahren etwa 20 Prozent unseres Personals abgebaut, was dazugeführt hat, dass wir in den vergangenen zehn Jahren die Personalkosten etwa auf gleichem Niveau gehalten haben. Das ist schon ein Erfolg. Aber jetzt sind wir an einer Grenze angekommen. Gewisses Potenzial liegt im Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit, da bin ich mir mit den Kollegen aus Radevormwald und Wipperfürth einig, dass wir weitere Schritte gehen wollen. Wir dürfen uns damit aber auch nicht überfordern.

An welchen Stellschrauben können Sie denn drehen?

Persian Letztlich sind es alles Sachen, die nicht den großen Schlag bedeuten bei dem wir auf einmal eine Million Euro einsparen, sondern eine langfristige Entwicklung. Wir sind in der Verwaltung gerade dabei, in ressortübergreifenden Arbeitsgruppen in allen Bereich nach Sparpotenzialen zu suchen, indem wir beispielsweise Standards reduzieren. Wir wollen bis zur Sommerpause ein erstes Programm abgearbeitet haben. Daraus wollen wir den Politikern sinnvolle Sparmöglichkeiten vorschlagen. Natürlich könnten wir bei den sogenannten freiwilligen Aufgaben sparen: Bürgerbad, Stadtbibliothek, Jugendzentrum — aber das wollen wir nicht. Damit machen wir ganz viel Lebensqualität in Hückeswagen kaputt. Es wird dann am Ende aber nicht anders gehen, als die Steuern zu erhöhen. Davor soll aber ein Diskussionsprozess stehen.

Allein in der Politik?

Persian Wir werden den Haushalt in diesem Jahr nicht nur im Sitzungssaal besprechen, sondern auch den Bürgern vorstellen, damit sie sich auch dazu äußern können. Ich hoffe, dass wir da auch noch einmal viele Idee bekommen. Es geht mir nicht nur um Information, sondern um Beteiligung. Letztlich muss dann aber der Rat über Steuererhöhungen und Reduzierung von Standards entscheiden.

Zum Schluss ist Zeit für gute Wünschen. Was wünschen Sie Hückeswagen — und sich — für die nächsten sechs Jahre?

Persian Ich wünsche mir ganz besonders, dass das große Engagement der Menschen hier in Hückeswagen und der große menschliche Zusammenhalt, den wir haben, auch hier in der Verwaltung, dass der erhalten bleibt und gestärkt wird.

Stephan Büllesbach und Kristina Hellwig führten das Gespräch.

(irz)
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