Hückeswagener vor Landgericht Köln Bewährung für trunkenen Messerstecher

HÜCKESWAGEN · Nach einer Messerstecherei in Wiehagen, die einen 16-Jährigen beinahe das Leben gekostet hätte, folgte nun der Prozess vor dem Schöffengericht in Wipperfürth. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit fast drei Promille Alkohol im Blut.

Staatsanwälte bringt so schnell nichts aus der Fassung. Diesmal aber sprach die Vertreterin der Anklage von einer „Tat, die fassungs- und sprachlos macht“. Sie forderte dreieinhalb Jahre Haft für den 56-jährigen Angeklagten. Das Urteil fiel deutlich milder aus: Zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung für eine gefährliche Körperverletzung, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit. Das Gericht folgte damit dem Antrag des Pflichtverteidigers. Die auch von der Anklage zugrunde gelegte verminderte Schuldfähigkeit lag darin begründet, dass der 56-Jährige völlig betrunken gewesen war, als er mit einem Küchenmesser auf einen 16-jährigen Nachbarn einstach.

Schauplatz war am 3. September 2019 der Wendehammer in der Sperberstraße gewesen. Wie so oft hatten sich schon ab dem Mittag dort Jugendliche aus der Nachbarschaft getroffen, um abzuhängen und Alkohol zu trinken. Und wie so oft war der 56-Jährige dabei. Er blieb zwar auf seinem Balkon im Parterre sitzen, mischte aber bei den Gesprächen und dem Teilen der Biervorräte munter mit. „Meine Wohnung habe ich damals nie verlassen, ich habe nur noch getrunken, jeden Tag von morgens bis abends“, sagte er aus. Seine Arbeitsstelle hatte er längst verloren, Frau und Söhne mit der Scheidung auch. Mit seinem Leben wusste er so wenig anzufangen wie viele der Jugendlichen in der Nachbarschaft, die sich regelmäßig bei ihm oder vor seinem Balkon trafen.

Am Abend des 3. September war es dort zunächst zu einem Gerangel zwischen zwei der Jugendlichen gekommen, als es darum ging, aus dem nahen Discounter Bier-Nachschub zu holen. Vom Balkon aus forderte der 56-Jährige den Nachbarjungen auf, den anderen in Ruhe zu lassen. Dann packte er den 16-Jährigen an den langen Haaren, zog ihn zu sich heran und stach ihn unvermittelt mit einem Küchenmesser in Rücken und Schulter. Der Junge lief ein paar Meter davon und brach dann blutend zusammen. Irgendwer alarmierte den Rettungswagen, der Angeklagte trank in aller Ruhe auf dem Balkon weiter sein Bier.

Der 16-Jährige war bei der Messerattacke schwer verletzt worden, nur durch eine Notoperation an der Lunge konnten die Ärzte sein Leben retten. Die erst von der Rettungswagen-Besatzung verständigte Polizei nahm den 56-Jährigen in seiner Wohnung fest. Blutproben ergaben fast drei Promille im Blut zum Tatzeitpunkt. Beim Haftprüfungstermin entschied der Richter, den Mann auf freien Fuß zu lassen. Für ihn war das ein Wendepunkt im Leben: Der seit langem schwer alkoholkranke Mann ging zur Entgiftung in eine Fachklinik und danach in eine stationäre Langzeit-Therapie. Im Frühjahr wurde er daraus entlassen, seitdem lebt er in einer Nachsorge-Einrichtung für suchtkranke Männer.

Im Strafverfahren war letztlich nicht zu klären, warum der Mann, der bislang ein straffreies Leben geführt hatte, an dem Abend so komplett ausgerastet war: „Ich weiß es selbst nicht, aber ich schwöre bei Gott, dass es mir leid tut“, sagte er unter Tränen aus. Den 16-Jährigen kannte er schon als Kind, er hatte ihn aufwachsen sehen und mit dessen Familie manches Fest gefeiert. „Wir hatten ein gutes Verhältnis“, sagte er aus. Das hatte Reibereien nicht ausgeschlossen: Wenige Wochen vor der Tat hatte der 16-Jährige den Älteren geschlagen, danach hatten sich beide wieder ausgesöhnt. Wirklich ungewöhnlich ist der raue Umgang untereinander in dem sozialen Brennpunkt nicht. Auch die Messerattacke wäre es womöglich nicht gewesen – schließlich hatte keiner der Zeugen sich bemüßigt gefühlt, die Polizei zu rufen –, hätte sie nicht so schwere Folgen gehabt.

Für das milde Urteil war am Ende ausschlaggebend, dass der nicht vorbestrafte 56-Jährige von sich aus in die Therapie gegangen war und sie erfolgreich durchlaufen hat. Er sei, wie sein Verteidiger unterstrich, auf einem guten Weg zurück in ein geordnetes Leben ohne Alkohol. „Ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch“, beteuerte der Hückeswagener.

Das Gericht setzte die zweijährige Freiheitsstrafe auf vier Jahre zur Bewährung aus. In dieser Zeit muss der 56-Jährige nach Weisung seines Bewährungshelfers Angebote der Sucht-Nachsorge wahrnehmen. Eindringlich mahnte der Vorsitzende Richter: „Es muss Ihnen klar sein, dass jeder Rückfall in den Alkohol wieder zu so einer grausamen Tat führen kann.“ Das Urteil wird erst rechtskräftig, wenn die Staatsanwaltschaft keinen Einspruch einlegt.

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