Kommentar "Es ist keine Schande mehr"

Kommentar · Kampf der wirklichen Krise

Bei jedem Klienten, der bei Stefanie Wistuba zum ersten Mal durch die Tür kommt, hat sie den selben Gedanken: "Hoffentlich will er jetzt keinen Job von mir." Auch, wenn sie den Menschen gerne das geben würde, was sie sich in diesem Moment am meisten wünschen, bietet die Sozial-Pädagogin eine Arbeitslosen-Beratung, aber eben keine Arbeitsvermittlung an. Sie hilft, wo sie kann: beim Ausfüllen von Formularen, bei Bewerbungsschreiben und der Suche nach Ansprechpartnern für Weiterbildungen.

Arbeitslosen-Beratung – der Name trifft es trotzdem nicht ganz: Denn Wistuba kümmert sich um alles, was mit Arbeit zusammenhängt. Wie bei Andreas Winkler. Der Dachdecker konnte seinen Beruf wegen einer Rückenoperation mehrere Jahre nicht ausüben, wurde arbeitslos. Jetzt will er in den Beruf als Selbstständiger zurück. Doch bei dem Formular, auf dem er seine finanzielle Vorausplanung angeben musste, machte er einen Fehler – trotz Hilfe eines Steuerberaters. Das Geld wurden ihm gekürzt. Stefanie Wistuba – in diesem Bereich selbst keine Fachfrau – las sich ein und sorgte dafür, dass der 45-Jährige seine Unterstützung weiter bekam. "Ohne Frau Wistuba hätte ich ganz schön dumm da gestanden", sagt der Dachdecker.

Es kommen auch Leute zu ihr , die ihren Job noch haben, aber fürchten, ihn bald zu verlieren. "Das Psychosoziale nimmt einen großen Raum ein", weiß Wistuba. Bislang ist der Zuspruch der Arbeitslosenberatung noch mäßig. Die 41-Jährige führt die derzeitige Zurückhaltung unter anderem auf die acht Monate lange Pause zurück, in der die Beratung im Kolpingbildungswerk wegen finanzieller Engpässe geschlossen war: Das Land hatte EU-Mittel gestrichen.

In den ersten Wochen riefen immer wieder Leute bei Wistubas Vorgängerin Mariona Marra an. Doch das ebbte mit der Zeit ab. Im Bewusstsein der Leute ist die neue Beratung – auch zuständig für Radevormwald und Wippefürth – offenbar noch nicht angekommen. "Eigentlich müsste ich mich mit einem Bauchladen in die Innenstadt stellen", meint Wistuba. Das könnte die Hemmschwelle senken. "Viele denken vielleicht auch, Frau Wistuba ist so wie viele Leute im Amt", glaubt Klientin Yolanda Schürmann. Außerdem: "Ich hab mich zuerst sofort gefragt: Was kostet mich das?", berichtet sie. Doch die Beratung ist immer kostenfrei. Auch die von Wistuba vorgesehenen, lockeren Frühstücke und Gesprächekreise wären es.

Die (noch) geringe Zahl an Klienten – acht bis zehn pro Woche – hat auch ihr Gutes: Wistuba kann sich Zeit nehmen für sie. Wenn es sein muss, bis zu zwei Stunden. So kann sie auf die Menschen eingehen. Doch ihr Vertrag ist befristet: Ende Februar läuft er aus. KOMMENTAR

Es ist Krise in Deutschland. Gestern erst forderte die Bundesagentur für Arbeit Geld von der Bundesregierung, um den Folgen der Finanzkrise Herr zu werden. Denn es werden immer mehr Menschen arbeitslos. Die Betroffenen verlieren ihr Einkommen, und für viele bricht auch ein Stück erfülltes Leben weg. Das allein ist schon schlimm genug. Doch für viele kommt's noch schlimmer. Sie fürchten schiefe Blicke und die latente oder auch deutliche Unterstellung, nicht genug getan zu haben, um ihren Job zu halten. Manchen wird unterstellt, sich auf Kosten des Staates einen "lauen Lenz" zu machen. Viele vereinsamen, schämen sich ihrer Arbeitslosigkeit. So wird der Weg zurück ins Berufsleben noch viel schwerer, als er ohnehin schon ist. Der Gang zum Amt, sei es die Arge oder die Agentur für Arbeit, macht es nicht besser. Natürlich haben die Mitarbeiter dort alle Hände voll zu tun und nicht für jeden unendlich Zeit. Doch wie eine Nummer abgefertigt zu werden, reißt viele noch weiter in Selbstzweifel und Scham. Daher ist es wichtig, dass es Angebote wie das des Kolpingwerks gibt, das den Menschen selbst sieht und ihn ein Stück weit dort auffängt, wo es die Gesellschaft (noch) nicht vermag. Diese Angebote muss es leider geben. Das ist die die wirkliche Krise.

DÉSIRÉE LINDE

(RP)
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